Rowohlt History: Simone de Beauvoir
Wenige Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts haben die Debatten über Freiheit, Gesellschaft und die Rolle der Frau so nachhaltig geprägt wie Simone de Beauvoir. Sie war eine brillante Philosophin, eine gefeierte Autorin und wurde zur Ikone einer ganzen Bewegung. Doch hinter dem Monument des Feminismus verbirgt sich die Geschichte einer Frau, die ihr Leben lang gegen die Fesseln der Konvention ankämpfte – in ihrem Denken, in ihrer Liebe und in ihrem politischen Handeln. Begleiten Sie uns auf eine Reise durch das faszinierende Leben einer Denkerin, deren Werk heute relevanter ist denn je.
Die Rebellin aus gutem Hause
Als Tochter eines großbürgerlichen, katholischen Elternhauses schien Simone de Beauvoirs Weg vorgezeichnet. Doch schon früh spürte sie den Drang nach intellektueller und finanzieller Unabhängigkeit. Sie lehnte sich gegen die starren Erwartungen ihrer Familie auf und entwickelte liberale und sozialistische Ideale, die sie zunehmend von ihren Wurzeln entfremdeten. Ihr unbändiger Ehrgeiz zeigte sich in ihrem Philosophiestudium an der Pariser Sorbonne: 1929, mit gerade einmal 21 Jahren, erhielt sie als jüngste Absolventin aller Zeiten die prestigeträchtige Lehrerlaubnis für die Sekundarstufe (die Agrégation). Sie schloss als Zweitbeste ihres Jahrgangs ab – nur knapp hinter einem Mann, der ihr Leben für immer verändern sollte: Jean-Paul Sartre.
Ein Pakt für die Ewigkeit: Die Liebe zu Sartre
Die Begegnung mit Sartre war der Beginn einer der berühmtesten intellektuellen Liebesgeschichten der Geschichte. Anstelle einer traditionellen, monogamen Beziehung schlossen die beiden einen Pakt. Sie definierten sich als Lebensgefährten, sicherten sich aber gegenseitig die Freiheit zu, Liebschaften mit anderen zu pflegen. Ehe, Elternschaft und ein gemeinsamer Haushalt kamen für sie nicht infrage; sie siezten sich ihr Leben lang. Diese radikale Offenheit ermöglichte Simone de Beauvoir während ihrer 51-jährigen Beziehung zu Sartre, die erst mit seinem Tod 1980 endete, auch intensive Liebschaften mit Frauen und Männern.
Diese gelebte Freiheit hatte jedoch auch ihre Schattenseiten. Nach dem Studium arbeitete de Beauvoir als Lehrerin, verlor ihre Anstellung jedoch 1943, nachdem ihr Verhältnisse mit minderjährigen Schülerinnen vorgeworfen wurden – darunter die 16-jährige Bianca Lamblin. Nach diesem Skandal widmete sie sich endgültig dem Schreiben und ihrem politischen Engagement und veröffentlichte noch im selben Jahr ihren erfolgreichen Roman «Sie kam und blieb».
«Das andere Geschlecht»: Die Geburt eines Manifests
1949 erschien ihr bis heute bekanntestes und wirkmächtigstes Werk: «Das andere Geschlecht». Das Buch löste bei seiner Veröffentlichung einen gewaltigen Skandal aus, gilt heute aber als Meilenstein und Gründungsdokument des modernen Feminismus. Mit bestechender Klarheit analysiert de Beauvoir darin die systematische Unterdrückung von Frauen in einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft. Ihr berühmter Satz «Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es» fasst die Kernthese zusammen: Die Rolle der Frau ist kein biologisches Schicksal, sondern ein soziales Konstrukt. Das Buch wurde zu einem weltweiten Bestseller und inspiriert bis heute Generationen.
Das andere Geschlecht
Das berühmte Standardwerk von Simone de Beauvoir!
Die universelle Standortbestimmung der Frau, die aus jahrtausendealter Abhängigkeit von männlicher Vorherrschaft ausgebrochen ist, hat nichts an Gültigkeit eingebüßt. Die Scharfsichtigkeit der grundlegenden Analyse tritt in der ...
Das andere Geschlecht
Das berühmte Standardwerk von Simone de Beauvoir. Die universelle Standortbestimmung der Frau, die aus jahrtausendealter Abhängigkeit von männlicher Vorherrschaft ausgebrochen ist, hat nichts an Gültigkeit eingebüßt. Die Scharfsichtigkeit der grundlegenden Analyse tritt in der ...
Engagement, das bleibt: Politische Kämpfe und späte Jahre
Simone de Beauvoir war keine Theoretikerin im Elfenbeinturm. Gemeinsam mit Sartre und Maurice Merleau-Ponty gründete sie 1945 die politisch-literarische Zeitschrift Les Temps Modernes, um existenzialistische und marxistische Ideen zu verbreiten. Zudem setzte sie sich unermüdlich für konkrete politische Anliegen ein, allen voran für die Legalisierung der Abtreibung und die Unabhängigkeit Algeriens von der französischen Kolonialmacht.
Bis zum Schluss blieb sie eine Kämpferin und eine loyale Gefährtin. Sie pflegte Sartre während seiner langen Krankheit bis zu seinem Tod. Um ihren literarischen Nachlass zu sichern und als Zeichen der tiefen emotionalen Verbundenheit, adoptierte sie 1980 ihre langjährige Freundin, die Philosophielehrerin Sylvie Le Bon. Simone de Beauvoir starb am 14. April 1986 in Paris und wurde an der Seite von Jean-Paul Sartre beigesetzt. Ihr Vermächtnis jedoch lebt in ihren Büchern weiter – als kraftvoller Appell für die Freiheit jedes einzelnen Menschen.
Timeline
- 1908 geboren in Paris
- 1925 Studium der Mathematik und Philosophie
- 1929 Beginn der Beziehung zu Jean-Paul Sartre
- 1931 Beginn der ersten vollen Lehrverpflichtung
- 1943 Entlassung aus dem Schuldienst wegen Verführung Minderjähriger, fortan Tätigkeit als freie Autorin
- 1945 Gründung der politisch-literarischen Zeitschrift Les Temps Modernes
- 1949 Veröffentlichung von «Das andere Geschlecht»
- 1954 Auszeichnung mit dem Prix Goncourt für ihren Roman «Die Mandarins von Paris»
- 1971 Mitunterzeichnung des «Manifests der 343» für das Recht auf Abtreibung
- 1980 Adoption der langjährigen Freundin Sylvie le Bon
- 1986 gestorben in Paris