Im Gespräch

Zwischen Ausbruch und Aufbruch

Von Freundschaft, Hoffnung und großen Träumen – Sarah Jäger im Interview

Interview Sarah Jäger
© Anna-Lisa Konrad

Bevor diese Geschichte beginnt, fliegt eine Kaffeemaschine aus dem Fenster des Lehrerzimmers. Dann fliegt Kim. Und zwar von der Schule. Ihre Mutter schickt sie in ein Dorf im Nirgendwo, zu ihrem Exfreund René. Dort geht Kim zur Schule und arbeitet nebenbei an einer Tankstelle, wo sie Janne trifft, der süchtig nach Erdnussbutterschokoriegeln ist; bald stößt auch noch Alex(andra Sofie) dazu. Zusammen sind sie «so etwas wie Freunde». Schwer zu sagen, wer genau was für wen empfindet. Und als wäre das nicht kompliziert genug, muss Kim immer wieder den Drang bekämpfen, alles zu zerstören, was ihr zu nahe kommt ... Sarah Jäger erzählt klug, berührend und humorvoll von einer Dreierfreundschaft, die eigentlich zum Scheitern verurteilt ist.

DAS INTERVIEW

Sie scheinen eine Frau mit bunter Jobbiografie zu sein: IHK-zertifizierte Call-Center-Agentin, ausgebildete Theaterpädagogin, umgeschulte Buchhändlerin. Sie arbeiten in einer wunderbaren Buchhandlung, bei proust wörter + töne in Essen, einem «Spiegelkabinett der Verführung». Träumen Sie trotzdem davon, irgendwann einmal nur fürs und vom Schreiben zu leben?
Ich habe zehn Jahre lang freiberuflich als Theaterpädagogin gearbeitet und mich dann bewusst gegen die Freiberuflichkeit entschieden, um eine Umschulung im Buchhandel zu machen. Momentan arbeite ich an drei Tagen in der Woche als Buchhändlerin, an den anderen Tagen kann ich schreiben, oder ich bin unterwegs zu Workshops und Lesungen. Diese Mischung ist für mich ziemlich perfekt – und ich hoffe sehr, ja, vielleicht träume ich sogar manchmal davon, dass das noch lange so bleiben kann.

Kranichsteiner Jugendliteratur-Stipendium 2021, der LUCHS des Monats: Sind solche Auszeichnungen ein Türöffner für die Wahrnehmung einer jungen Autorin in der Branche? 
Unbedingt! Diese Auszeichnungen haben wesentlich dazu beigetragen, dass meine Bücher sichtbar wurden.

Ob Lenas Hinterhof-Buddys (in «Nach vorn, nach Süden»), Majas Abiclique (in «Die Nacht so groß wie wir») oder jetzt Kim, Janne und Alex(andra Sophie) – immer geht es in Ihren Romanen um die Träume und Traumata junger Menschen. Die FAZ attestiert Ihnen einen intuitiven Zugang zum «juvenilen Gefühlshaushalt zwischen Übermut, Ohnmacht und Gestaltungswille». Hat das mit Ihrer Arbeit in Jugendtheaterprojekten zu tun?
Das kann schon sein. Ich habe viele Theaterprojekte mit Jugendlichen durchgeführt, habe zusammen mit ihnen Figuren und Theaterstücke entwickelt, habe dann Dialoge geschrieben, immer wieder nach einer Bühnensprache gesucht, die nah an den Jugendlichen und ihren Figuren bleibt. Diese Erfahrungen sind sicherlich in meine Romanarbeit eingeflossen, «intuitiv», wie die FAZ ganz richtig schreibt.

Als «Schnabeltier» Kim die Kaffeemaschine aus dem Fenster des Lehrerzimmers pfeffert, muss eine neue Schule her. Sie zieht aufs Dorf, freundet sich mit anderen Außenseitern an. «Manchmal ist es ein Elend, erst fünfzehn zu sein», heißt es an einer Stelle. Aber Kim und die neuen Freunde wirken alles andere als trist und elend ...
Das Drumherum ist oft trist. Der Hinterhof in «Nach vorn, nach Süden», die Turnhalle in «Die Nacht so groß wie wir», die Tankstelle in «Schnabeltier Deluxe». Oder eine Schale mit Haferkeksen. Aber niemals die Protagonist:innen. Die Protagonist:innen, sie leuchten. Alle!

Sonnigwarme Covertöne beim ersten Roman, schwarzdüsteres Cover beim zweiten. Nun, bei «Schnabeltier Deluxe», dominieren Petrol-/Orange-Töne auf dem Umschlag. Kein Zufall, dass das Buchdesign mit dem Gefühlsleben der Protagonist:innen Ihrer drei Coming-of-Age-Romane harmoniert, oder?
Das müssten wir die Covergestalter:innen fragen! Ich freue mich immer nur über ihre tollen Vorschläge. Aber ich sehe es auch so: Gerade die Farbgestaltung der Cover erzählt sehr viel. «Die Nacht so groß wie wir» war mit dem Schwarz ein krasser Gegensatz zum freundlichen «Nach vorn, nach Süden». Und ich habe das Gefühl, dass «Schnabeltier Deluxe» die beiden Bücher miteinander verbindet. Sie gehören halt zusammen, meine kleine Trilogie.

Im eigentlichen Schreibprozess bin ich sehr allein mit mir, arbeite mich an meiner Sprache ab.

Leise Töne, lakonischer Sound, vielschichtige Figuren: Gibt es Bücher und Autor:innen, von denen Sie sagen: Das hat mir unglaublich viel für mein eigenes Schreiben gegeben? 
Ich finde das schwer zu beantworten. Ich habe viel gelesen, und all die Texte werden mein Schreiben sicherlich beeinflusst haben, aber das läuft eher unbewusst ab. Im eigentlichen Schreibprozess bin ich sehr allein mit mir, arbeite mich an meiner Sprache ab. Natürlich denke ich immer an Wolfgang Herrndorf, der zum Thema Jugendsprache in der Literatur geschrieben hat: «Wenn man erstmal anfängt, mit Slang um sich zu schmeißen, wird man doch schon im nächsten Jahr ausgelacht.» Seine Worte werden wohl immer mein Kompass sein.
Vor «Schnabeltier Deluxe» habe ich mich gefragt, ob ich nicht ein bisschen mehr wie John Green schreiben könnte, der so gute und zugängliche Jugendliteratur auf den Markt gebracht hat. Aber schon nach drei Seiten «Schnabeltier» habe ich einsehen müssen, dass ich am Ende doch wieder sehr wie ich klingen werde.

Sarah Jäger

Sarah Jäger

Sarah Jäger lebt im Ruhrgebiet. Sie ist IHK-zertifizierte Call-Center-Agentin, ausgebildete Theaterpädagogin und umgeschulte Buchhändlerin. Ihr Jugendbuch «Die Nacht so groß wie wir» war für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert und wurde mit dem Hans-im-Glück-Preis ausgezeichnet.

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