Im Gespräch

«Einen besseren Schauplatz für spannende Geschichten kann ich mir kaum vorstellen.»

Ralf Langroth
© Dennis Dirksen

1953 wird Philipp Gerber Kriminalhauptkommissar beim BKA. Seine Aufgabe bei der Sicherungsgruppe Bonn: den Mord an seinem Vorgänger aufzuklären. Sein Geheimnis: Wie der Ermordete ist Gerber Agent der Amerikaner. Gemeinsam mit der Journalistin Eva Herden findet er heraus, dass die rechtsgerichteten «Wölfe Deutschlands» noch aktiv sind. Mitten im Wahlkampf wollen diese ein Zeichen gegen den Kommunismus setzen und einen der führenden linken Politiker töten. Bundeskanzler Adenauer persönlich betraut Gerber mit der Aufgabe, seinen Kontrahenten zu beschützen … Ein spannender Roman über die dunklen Geheimnisse der jungen westdeutschen Demokratie, auf die der Schatten des Kalten Krieges fällt.

Das Interview

Statt Berlin in den wilden Zwanzigern oder die bayerische Provinz haben Sie sich Bonn in den fünfziger Jahren für Ihre neue Thrillerreihe ausgesucht. Was fasziniert Sie daran?
Bonn in den fünfziger Jahren ist eine Stadt, wie man sie gegensätzlicher in der jüngeren deutschen Vergangenheit kaum findet. Einerseits das Kleinstädtische, um nicht zu sagen der Kleinstadtmief, rheinischer Frohsinn und Gemütlichkeit. Auf der anderen Seite die Hauptstadt der jungen Bundesrepublik mit ihren Politikern, Diplomaten, Verwaltungsbeamten, Journalisten und nicht zuletzt auch Spionen. Eine Stadt, die aus allen Nähten platzt, voller widerstreitender Interessen und gegeneinander Front machender Interessenvertreter. Einen besseren Schauplatz für spannende Geschichten kann ich mir kaum vorstellen.

 

In Ihrem Thriller «Die Akte Adenauer» wird ein in Deutschland geborener US-Amerikaner 1953 BKA-Kommissar. Wer ist dieser Philipp Gerber?
Einer, der noch einmal davongekommen ist. 1939, kurz vor Ausbruch des 2. Weltkriegs, als er mit Eltern und Geschwistern in die USA emigrierte. Im Krieg hat Philipp Gerber gegen die Nazis gekämpft, als Agent des amerikanischen Militärgeheimdienstes CIC. In dieser Funktion kehrt er nach Deutschland zurück, wo er das Kriegsende und die ersten Nachkriegsjahre erlebt. Aber hier kann er seinem bisher so eindeutigen politischen Kompass nicht mehr folgen. Die Ränkespiele zwischen Amerikanern und Sowjets, zwischen West- und Ostdeutschen, zwischen Kommunisten und Antikommunisten zwingen Gerber, einen neuen Weg zu gehen. Er findet ihn bei der Sicherungsgruppe Bonn, einer Unterabteilung des neu gegründeten Bundeskriminalamts.

Adenauer beim Wahlkampf
Ralph Crane/Getty Images

Konrad Adenauer während seines Wahlkampfs im August 1953. Die Wahl fand am 6. September 1953 statt.

Sie zeigen die junge Bonner Republik, die noch von der Alliierten Hohen Kommission kontrolliert wird, 1953 kurz vor der Bundestagswahl und erzählen von den politischen Interessen der USA in der BRD. Welche waren das?
Nach Kriegsende hatte sich der Status des besiegten Deutschlands rapide gewandelt, vom Feind zum begehrten Verbündeten. Das galt für die Amerikaner wie auch für die Sowjets, die Ostdeutschland sowie einen Großteil Osteuropas fest im Griff hatten. Der Kalte Krieg – Ost gegen West – drohte jederzeit in einen heißen umzuschlagen, und Deutschland war für beide Seiten zum Aufmarschgebiet geworden. Die vor Ort stationierten amerikanischen Landstreitkräfte waren den sowjetischen deutlich unterlegen, was die Amerikaner durch politische Einflussnahme und geheimdienstliche Aktivitäten auszugleichen versuchten.

Wie stark war das BKA von ehemaligen SS-Leuten durchdrungen – und warum verhinderte man dies nicht?
Im BKA bildeten sich von der Gründung an starke rechte Seilschaften, was erst in späteren Jahrzehnten auch BKA-intern aufgearbeitet wurde. Im Dritten Reich war es das Bestreben der Machthaber gewesen, Polizei und SS miteinander zu verschmelzen. Himmler wurde 1936 zum «Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei» ernannt. Als man nach dem Krieg in der Bundesrepublik neue Polizeistrukturen aufbaute, wühlte man auf der Suche nach Personal fast automatisch im braunen Sumpf. Der Kampf gegen den Kommunismus, der diese Zeit prägte, ließ viele Verantwortliche allerdings nicht nur auf dem rechten Auge erblinden, sondern man nahm die Rekrutierung ehemaliger SS-Männer häufig billigend in Kauf oder förderte sie sogar. So konnten besagte Seilschaften auch im BKA entstehen.

Demonstration der BDJ 1953
Alfred Strobel/Süddeutsche Zeitung Photo

Demonstration der rechtsextremen Vereinigung «Bund Deutscher Jugend» (BDJ) 1953. Im Thriller «Die Akte Adenauer» kommt der BKA-Hauptkommissar Philipp Gerber einer Verschwörung des BDJ und der Partisanen-Organisation «Wölfe Deutschlands» auf die Spur

Der Bund Deutscher Jugend und der Technische Dienst – was hat es mit diesen Organisationen auf sich?
Die Amerikaner finanzierten in Westdeutschland den Bund Deutscher Jugend (BDJ) als Gegenstück zur ostdeutschen Freien Deutschen Jugend (FDJ). War die FDJ ein kommunistischer Jugendverband, so stellte der BDJ ganz klar antikommunistische Propaganda in den Vordergrund. Die rechten Tendenzen des BDJ traten verstärkt in dessen geheimer Unterorganisation auf, dem Technischen Dienst. Hier wurde von den Amerikanern eine paramilitärische Kampftruppe aufgestellt, eine sogenannte Stay-behind-Organisation, mit dem Ziel, feindliche Truppen hinter den Linien zu bekämpfen. Das Ganze führte zum Eklat, als öffentlich wurde, dass der Technische Dienst mit einer eigenen Nachrichtenabteilung politisch missliebige Personen bespitzelte, darunter viele führende SPD-Mitglieder. Diese Affäre löst in meinem Roman den Strudel der Ereignisse aus, in den Philipp Gerber hineingezogen wird.

Neben Philipp Gerber ermittelt die unkonventionelle Eva Herden, die als Reporterin für das kommunistische Magazin Brennpunkt Bonn schreibt. Was war Ihr Vorbild?
Mein fiktiver Brennpunkt Bonn hat kein reales Magazin zum Vorbild. Sowohl die Amerikaner als auch die Sowjets finanzierten Propagandablätter auf deutschem Boden. Der Brennpunkt Bonn steht in dem Ruf, ein solches sowjetfinanziertes Blatt zu sein. Eva Herden, die im Zweiten Weltkrieg ihre Familie verloren hat, ist eine strikte Gegnerin von Adenauers Politik der Westbindung, weil sie einen neuen Krieg befürchtet. Sie schreibt aus Überzeugung gegen diese Politik an und gerät mit Philipp Gerber trotz ihrer gemeinsamen Ermittlungen ein ums andere Mal aneinander.

 

Auch die Architektur in Ihrem Krimi hat es in sich: Schloss Deichmannsaue, der Petersberg, die Villa Hammerschmidt. Haben Sie diese Orte vorab besucht?
Meine geplante Bonn-Reise ist leider durch die coronabedingten Beschränkungen torpediert worden. So musste ich auf die Erinnerungen an frühere Bonn-Besuche und auf Tipps aus dem Freundeskreis zurückgreifen. Und natürlich auf gute Literatur, die immer hilfreich ist.

 

Man fragt sich schon immer wieder: warum Bonn? Warum wurde das beschauliche Städtchen Bonn und nicht Kassel oder Frankfurt die Hauptstadt der neuen Bundesrepublik?
Da Berlin als Hauptstadt Westdeutschlands nicht in Frage kam – die Stadt war geteilt und lag in der Sowjetzone –, wurden tatsächlich viele Begehrlichkeiten geweckt. Frankfurt am Main, das sich in der Tradition der Paulskirchenverfassung sah, Kassel, Stuttgart und Bonn. Auch der Oberbürgermeister von Koblenz warf seinen Hut in den Ring. Für Bonn sprach sich Konrad Adenauer aus, der ganz in der Nähe wohnte und seinen «Weg zur Arbeit» dadurch minimieren konnte. Als sich ein leichter Vorsprung für das von der SPD bevorzugte Frankfurt abzeichnete, ließ Adenauer, ganz der alte Fuchs, das Gerücht streuen, die SPD freue sich bereits über die sichere Niederlage der Konservativen. Das brachte die hessischen CDU- Abgeordneten, die für Frankfurt stimmen wollten, in Wallung, und sie änderten ihre Meinung. Der Kanzler bekam seinen Willen und die Hauptstadt vor seiner Haustür.

Adenauer an der Wahlurne
ullstein bild

Wahl zum 2. Deutschen Bundestag 1953: Bundeskanzler Konrad Adenauer bei der Stimmabgabe in seinem Wahllokal in Rhöndorf bei Bonn

Gerber hat schon 1945 eine Begegnung mit dem späteren Kanzler – und Adenauer erleben wir 1953 dann auch als sprechenden Charakter mit seinem rheinischen Dialekt. Wie viel echter Adenauer steckt in Ihrem «Alten»?
Hoffentlich die richtige Portion. Natürlich ist mein Adenauer ein Stück weit fiktionalisiert, aber ich wollte für den Roman einen lebendigen und nachvollziehbaren Charakter erschaffen. Keine abstrakte Figur wie den Jesus aus alten Bibelfilmen, von dem man nur Hände und Füße oder den Rücken sieht. Ich wollte auch zeigen, wie es einem Machtpolitiker, der Adenauer zweifellos war, gelingt, Menschen für sich zu begeistern.

Bundestag 1953
ullstein bild

Debatte im 1. Deutschen Bundestag über die deutsch-alliierten Verträge («Deutschlandvertrag»), die die Wiederherstellung der deutschen Souveränität zum Ziel hatten. Am 19. März 1953 wurde der Vertrag vom Bundestag gegen der Widerstand der SPD verabschiedet. Konrad Adenauer sagte dazu, dass das Bündnis mit den drei Westalliierten Voraussetzung für die Wiedervereinigung Deutschlands wäre, ebenso wie für die Sicherheit der Bundesrepublik.

Adenauer ist unter Historikern umstritten. War er Ihrer Meinung nach der richtige Mann für die junge Bundesrepublik Deutschland?
Ja, ohne Wenn und Aber. Bei allen moralisch fragwürdigen Entscheidungen war Adenauer der richtige Mann am richtigen Platz zur richtigen Zeit. Er sah sich der gewaltigen Aufgabe gegenüber, eine Trümmerwüste in ein wieder funktionierendes Land zu verwandeln, eine Lebensgrundlage für viele Millionen Menschen zu schaffen. Dabei kann man seine Hände leider nicht in Unschuld waschen, und das zeige ich auch in meinem Roman «Die Akte Adenauer».

Die Philipp-Gerber-Romane

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