Im Gespräch

«Ich bin gerne introvertiert»

Die Sehnsucht nach Stille: Eva Lohmanns Buch verändert unseren Blick auf introvertierte Menschen

Autorinnenfoto Eva Lohmann mit Text "Interview mit Eva Lohmann"
© Carolin Petersen Kallianioti

Wie ein Reh auf dem Rockkonzert – so beschreibt Eva Lohmann das Gefühl, ein stiller Mensch in einer lauten Familie zu sein. Wie funktioniert der Alltag in einer Familie, wenn einer Ruhe braucht und der andere Input? Was kann man Eltern sagen, die sich sorgen, ihre stillen Kinder könnten in unserer extrovertierten Gesellschaft untergehen? Und was dem Partner, der sich, sobald die Kinder im Bett sind, unterhalten will, während man sich selbst nur noch mit Buch aufs Sofa flüchten möchte? Introvertierte sind oft sehr tiefgründige, nachdenkliche Menschen, gute Zuhörer und noch bessere Beobachter. Aber sie brauchen Schutzräume und die Ermutigung, so sein zu dürfen, wie sie sind. Und sie müssen Strategien erlernen, sich als stille Menschen in dieser Welt zurechtzufinden. Wie das funktionieren kann, zeigt Eva Lohmann anhand ihrer eigenen Geschichte als Introvertierte.

DAS INTERVIEW

Ihr Buch startet mit einem wunderbaren Zitat von Amy Schumer: «Introvertiert zu sein bedeutet nicht, schüchtern zu sein. Es bedeutet, dass du es genießt, allein zu sein. Du genießt es nicht nur, du brauchst es. Wenn du wirklich introvertiert bist, sind andere Menschen für dich wie Energie-Vampire: Du hasst sie nicht, aber du musst genau planen, wann du dich ihnen aussetzt – wie der Sonne.» Ab wann wussten Sie als Kind, dass Sie anders sind, anders ticken als andere Kinder?
Es gab nicht den einen Moment, in dem mir das klar wurde. Es waren eher Hunderte kleine Alltagssituationen, in denen ich mitbekam, dass ich anders war, als von mir erwartet wurde. Sehr anschaulich manifestierte sich das in einem Satz, den auch heute noch viele introvertierte Kinder von ihren Eltern zu hören bekommen: «Spiel doch mal mit den anderen Kindern.» (Ein Satz, der ermuntern soll, aber unterschwellig kommuniziert: So wie du dich gerade verhältst, bist du nicht richtig.)

Introvertiertheit ist etwas anderes als Schüchternheit oder Hochsensibilität. Es ist ein Charakterzug, ein Persönlichkeitsmerkmal – und kein Krankheitsbefund. Wie schwer ist es, anderen verständlich zu machen, wie es sich anfühlt, als stiller, introvertierter Mensch durch die Welt zu gehen?
Ich würde sagen, je extrovertierter ein Mensch ist, desto schwerer fällt es ihm, sich in einen Introvertierten hineinzuversetzen. Deswegen gibt es in meinem Buch – und auch auf der Homepage von Rowohlt – meine «Gebrauchsanweisung für Introvertierte». Kann man einfach weiterleiten; sie erklärt sehr anschaulich, wie Introvertierte «funktionieren».

 

 

Introvertierte haben viele Stärken.

It’s all about energy? Introvertierte, schreiben Sie, «ziehen ihre Energie aus sich selbst und verlieren Energie beim Austausch mit anderen». Haben Sie Ihren eigenen Energiemodus je als defizitär empfunden? Oder war Ihnen immer bewusst, dass Sie genau daraus Stärke und Selbstgewissheit ziehen?
Introvertierte haben viele Stärken. Dass wir schneller Energie im Zusammensein mit anderen verlieren, sehe ich persönlich schon als eine kleine Schwäche. Natürlich wäre es nett, unbegrenzt Energie zu haben. Aber wenn man schon mal weiß, wie man sie verliert und wie man sie gewinnt, kann man die Sache wenigstens selbst steuern.

«Ich bin die introvertierte Mutter einer extrovertierten Tochter …» Wie war das, als Sie realisierten, dass Ihre Tochter so ein ganz anderer Typ ist, eher Typ Pippi als Typ Annika: ungeheuer lebendig, quirlig, ein Kind, das wie ein Energieflummi durch den Alltag hopst?
Viele Vorstellungen davon, wie das Leben mit meiner Tochter sein würde, sind wie Seifenblasen zerplatzt. Aber andererseits: Geht das nicht allen Eltern so? Kinder sind eben keine kleinen Mini-Versionen ihrer Eltern. Gott sei Dank lässt sich die Liebe davon nicht beeinflussen. 

Selbstfürsorge ist das Einfache, was so schwer hinzukriegen ist. Wie schaffen Sie es, in der Familie, gegenüber Freund*innen und in beruflichen Zusammenhängen Ihr Recht auf Stille, Rückzug, Alleinsein durchzusetzen?
Mein Beruf macht es mir einfach. Autorin zu sein ist der introvertierteste Beruf der Welt. Autorin in der Coronakrise bedeutet sogar, dass man noch nicht einmal Lesungen hat. Schwieriger ist es in der Familie. Mir hat geholfen zu verstehen, dass ich meiner Tochter ein Vorbild bin, wenn ich ihr meine Grenzen aufzeige. Weil sie dann ebenfalls lernt, Grenzen aufzuzeigen. 

Ihr Buch wird vielen Menschen helfen, mit dem Phänomen Introvertiertheit klarer und bewusster umzugehen. Ob Kita, Schule, Uni, Job: Sie geben viele Tipps und Tricks weiter, mit denen Sie selbst Ihr Leben als introvertierter Mensch meistern. Wie wichtig ist Ihnen dieser Aspekt des Buches?
Sehr wichtig. Ich finde es faszinierend, dass ich mit dem, was ich kann, auf meine ganz eigene Art die Welt von ein paar Leser*innen ein kleines Stück verändern kann.

So schön still

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Eva Lohmann

Eva Lohmann

Eva Lohmann, Jahrgang 1981, lebt in Hamburg und hat eine Tochter. Die gelernte Inneneinrichterin und Werbetexterin arbeitet seit über zehn Jahren als freie Autorin. Sie schreibt Romane, Kinderbücher und Artikel für Familienmagazine. Ihr autobiographisches Debüt «Acht Wochen verrückt» über ihren Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik stand auf der Spiegel-Bestsellerliste.