Im Gespräch

«Gegen die sind wir alle sprachlos»

Dirk Stermann im Gespräch mit Daniel Kehlmann zu seinem neuen Roman «Der Hammer»

Dirk Stermann im Gespräch mit Daniel Kehlmann
© Gerald von Foris / Beowulf Sheehan

Ein Leben zwischen Ancien Régime, Revolution und Biedermeier, Napoleon und Metternich, dem fernen Morgenland und dem nicht minder fremden Wien um 1800, das ist ein faszinierender Stoff für einen historischen Roman mit literarischem Anspruch. Dirk Stermann erzählt «Der Hammer»  in ungravitätischem Ton, ausdrucksstark, mit sanfter Ironie, erzählerischer Kraft, füllt ihn an mit absonderlichen Geschichten, Fakten und Begebenheiten und einem großen, Epochen transzendierenden Thema: der Sucht nach der Ferne, der Sehnsucht nach Unsterblichkeit.


Daniel Kehlmann hat Dirk Stermann zu seinem neuen Buch interviewt.

DAS INTERVIEW

 

Daniel Kehlmann: Wie bist du auf die Figur des Joseph Hammer-Purgstall gestoßen?
Dirk Stermann: Mit einer Freundin machte ich eine nächtliche Führung durch die riesige Akademie der Wissenschaften in Wien. Es war unglaublich. Überall in den Kellern alte Schreibtische, in den Läden Zeichnungen und Schriften aus vergangenen Jahrhunderten. In einem Saal mit prachtvollen Deckenfresken standen Tischtennisplatten. Hier trainiert die Mannschaft der nahegelegenen Hauptpost. Im Foyer blieben wir schließlich vor einer Statue stehen: der erste Präsident der Akademie. «Er war Orientalist», sagte meine Freundin. «In seinem Schloss in der Steiermark ließ er im Stall vor jeder Kuh arabische Sprüche an die Wand hängen.» So lernte ich Hammer-Purgstall kennen.


Was mir so an ihm gefällt, ist seine schier unglaubliche Eitelkeit. Wie ist das, mit einer nicht so sympathischen Hauptfigur zu arbeiten?
Bisher hatte ich in meinen Büchern nette Helden, aber du hast recht, Hammer-Purgstall ist eitel und uncharmant. Kein sehr mitfühlender Mensch. Gleichzeitig gibt es da die Tragik eines Mannes, der sich selbst, nicht zu Unrecht, für einzigartig hält und verblüfft feststellen muss, dass er mit dieser Einschätzung alleine dasteht. Ihn in solchen Situationen zu erleben, hat mir tatsächlich großen Spaß gemacht. Ich hatte beim Schreiben Porträts vor mir liegen, auf denen er ernst und wenig einnehmend blickt. Und doch war er ein umtriebiger Mensch, der die Größten seiner Zeit kannte, Goethe, Napoleon, Beethoven, Metternich. Das hat mich sehr fasziniert.


Die Welt, die du schilderst, im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, ist eine ohne Hygiene. Alles wahnsinnig schmutzig. Hat es dir Spaß gemacht, eine Welt zu schildern, in der gewissermaßen alles stinkt?
Da bin ich dem Historiker Peter Payer sehr dankbar, der ein großartiges Buch über den Gestank von Wien geschrieben hat. Dass Wien die verstunkenste Hauptstadt Europas war, hat mich beeindruckt. Es muss nasenbetäubend gewesen sein, falls es das Wort gibt. Menschen fielen in der Messe reihenweise um, weil aus den Gräbern ringsum Fäulnisgase stiegen. Das zu beschreiben war ein Vergnügen.


Es finden sich auch herrliche Kuriositäten – wie die Leute, die schlechten Geruch auf der Straße «wegriechen» sollen, oder du zitierst einen Brief der Kosaken an den Sultan, der so lustig ist, dass ich das für eine Stermannidee hielt, dabei ist das belegt. Warst du bewusst auf der Suche nach so etwas?
Wie du weißt, liest man für einen historischen Roman unglaublich viel. Und während man liest, weiß man, dass es noch viel mehr gäbe. Großartigerweise wird man zum Entdecker von Dingen, die man ohne Recherche niemals gesucht hätte. So anstrengend diese Grabungsarbeiten auch sind, die Arbeit an einem historischen Roman wird zur Abenteuerreise.


Wenn Joseph nach Osten reist, ändert sich die Stimmung. Man spürt die Helligkeit, es stinkt nicht mehr so. War das etwas, das du vermitteln wolltest – dass es gar nicht lange her ist, da waren wir die rückständige Kultur, und im Osten fand man die Zivilisation?
Ja, ich hab mich geradezu gefreut, meinen Helden aus dem engen Wien herauszulassen in den Orient, um durchzuatmen. Wohlgerüche in die Nase zu bekommen. Beim Schreiben habe ich Joseph dann beneidet, als er endlich in Konstantinopel ankam. Der Orient war ja ein Sehnsuchtsort für viele Europäer. Und, unter anderem auch wegen Hammer-Purgstall, für immer mehr.


Wenn man deinen Roman liest, meint man, du sprichst Türkisch und Persisch. Hast du solche Sprachkenntnisse?
Ich kann leider weder Türkisch noch Persisch. Das hab ich mir mühsam erlesen. Friedrich Rückert, der auch im Roman vorkommt, beherrschte 40 Sprachen. Und auch Hammer-Purgstall erlernte neue Sprachen binnen Wochen. Gegen die sind wir alle sprachlos.

Der Hammer

Mit 15 Jahren kommt der begabte Joseph Hammer an den Wiener Hof, wo er „Sprachknabe“, Dolmetscher, werden soll. Joseph lernt Türkisch, Arabisch, Persisch, wird nach Konstantinopel entsandt, erlebt den Feldzug gegen Napoleon in Ägypten, sieht, was er nur aus Büchern kannte. Sein Leben lang vermittelt er zwischen Orient und Okzident und ist doch nirgends zuhause. Dass die Welt sein Genie nicht erkennt, schmerzt ihn. Er muss wohl erst etwas ganz Großes leisten: ein vollständiges Exemplar der Geschichten aus 1001. Nacht finden und übersetzen.
Ein Leben zwischen dem Morgenland und dem genauso fremden Wien um 1800, Stermann erzählt es mit sanfter Ironie: ein mitreißender Roman um ein großes Thema: Die Sucht nach der Ferne, der Wunsch nach Unsterblichkeit.

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