«Schafe sind auch nur Menschen.»
Willkommen bei den Doyles! Familienstand: Großfamilie. Humor: schwarz. Hobby: Mordermittlung!

In Kriminalromanen wimmelt es ja eigentlich von brummeligen, einzelgängerischen Kommissaren, nicht so in Ihrem neuesten Krimi «Vier Schafe und ein Todesfall». Hier ermittelt eine bunte, laute, sympathische Großfamilie. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen? Und was bedeutet Ihnen persönlich Familie
Ich bin ganz klar ein Familienmensch, deshalb haben mich interfamiliäre Strukturen immer fasziniert. Leo Tolstoi hat die Bandbreite perfekt beschrieben: «Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise.» Ein großes Thema, vor allem, weil die Gesellschaft dazu tendiert, immer nur das Individuum zu betrachten. Selbst wer seine Verwandten nur mag, wenn sie in Urlaub sind, wird sie nicht los. Ob wir wollen oder nicht, die Familie steckt in unserer DNA.
Die erste Idee für meine turbulente Figurenkonstellation entstand auf einer Wiese in Trelissick Garden, in Cornwall, am Ufer des River Fal. Staunend beobachtete ich, wie dort eine große Familie fröhlich ihre Decken und Picknickkörbe ausbreitete und sich kein bisschen um die vorbeimarschierenden Parkbesucher scherte. Sie hatten einfach Spaß, es war ja der perfekte kornische Sommertag. Ich dachte, ja, so gelassen müsste man leben, warum tun wir es nicht auch? In England ist man ja ohnehin gelassener als bei uns.


Vier Schafe und ein Todesfall
Die Doyles sind eine bemerkenswerte Familie. Man streitet sich, man verträgt sich, aber vor allem hält man zusammen. Wenn Familienoberhaupt Grandma ...
Vier Schafe und ein Todesfall
Die Doyles sind eine bemerkenswerte Familie. Man streitet sich, man verträgt sich, aber vor allem hält man zusammen. Wenn Familienoberhaupt Grandma ...
Eine der eindrücklichsten Figuren ist Grandma Emily, die Familienmatriarchin. Wenn sie ruft, kommen alle. Sie beschreiben sie so lebendig, dass man fast meinen könnte, Sie hätten selbst eine Emily in der Familie …?
In gewisser Weise ja. Ich bin aufgewachsen mit Eltern und humorvollen Tanten, die im Leben nie lange fackelten, sondern alles sofort in die Hand nahmen. Meine Großmutter wurde einhundertzwei Jahre alt und kaufte sich mit sechsundneunzig noch neue Möbel, weil sie die alten nicht mehr sehen konnte. Emily ist also ein Surrogat aus all den starken Frauen in meiner Familie. Mein endgültiges Bild dieser Matriarchin entstand aber bei besagtem englischem Picknick. Dort hatte eine Person sehr offensichtlich das Sagen – die Großmutter mit Strohhut. Sie gab Kommandos wie Queen Victoria, brachte ihre Familie aber auch mit britischem Humor zum Lachen. In diesem Moment malte ich mir makaber aus, was die Familie tun würde, wenn Grandma am Ufer einen Toten fände. Ich war mir sicher, dass sie als Erstes rufen würde: Bitte erst die Pasties aufessen, bevor die Polizei hier rumtrampelt! So setzte sich dann meine Fantasie in Gang ...
Im Buch spielen – Titel und Cover deuten es dezent an – auch Schafe eine wichtige Rolle. Gibt es etwas an diesen flauschigen Tieren, das Sie besonders fasziniert oder auch überrascht hat?
Ich kannte einen englischen Tierarzt, einen Schafspezialisten, der immer sagte: Schafe sind auch nur Menschen. Und er hatte recht, wie man heute weiß. Ihr soziales Verhalten ist verblüffend. Sie gründen Freundschaften, pflegen Abneigungen und können Pläne schmieden. Wer erkennt sich da nicht wieder? Als ich erfuhr, dass Schafe sich auch bis zu fünfzig verschiedene Menschengesichter einprägen können, war ich baff. Fünfzig – so viel schaffe ja nicht mal ich! Respekt verdienen die introvertierten Graser auch für eine andere Leistung. Seit Tausenden von Jahren füttern sie die Menschheit durch und halten sie warm, um es mal dezent zu sagen. Da sollten sie auch mal literarische Titelhelden sein, oder?
«Vier Schafe und ein Todesfall» spielt wie auch Ihre vorherige Krimireihe in Cornwall. Was verbinden Sie mit England und Cornwall?
Cornwall ist meine zweite Heimat. Hier bin ich, seit ich Student war, und hier werde ich hoffentlich noch sein, wenn mir die Fischer in Fowey mit kornischem Humor zurufen: «Okay, wie ein Hummer krabbelst du nicht mehr, aber bis zum Pub wird’s reichen.»
Eigentlich sind es viele Landschaften in Großbritannien, die mich faszinieren. Kent als Garten Englands, die verträumten Cotswolds mit sanften Hügeln, in denen honigfarbene Cottages stehen und Hunderte von Schafherden grasen, der Lake District mit Bergen und betörenden Seen. Schuld an dieser Liebe war schon früh meine Spezialisierung auf die englische Literatur, von Jane Austen bis Virginia Woolf, von Thomas Hardy über Dickens bis zu Graham Greene und dem unübertroffenen John le Carré. Fast jede große englische Erzählung ist mit Landschaft verbunden, britische Autoren können gar nicht anders. Der Mensch als Teil seines Biotops. Ein bisschen mehr davon täte auch unserer deutschen Literatur gut, glaube ich.
Die Doyles sind mit einem ziemlich schwarzen Humor gesegnet, man könnte auch sagen: britischem Humor. Sind Engländer einfach lustiger als wir Deutschen?
Absolut. Das legt man ihnen bereits in die Wiege. Ein Kind, das den Vater während eines Orkans zum Nachbarn hinüberbrüllen hört: «Ein bisschen windig heute, was?» – dieses Kind wird schnell lernen, wie man unterhaltsam mit anderen kommuniziert. Dabei kennt der britische Humor mehrere Stufen. Die deftigste ist sicher das Spiel mit Ironie und Sarkasmus. Man nimmt den anderen auf den Arm und spottet über seinen Schwachpunkt, indem man das Gegenteil der Wahrheit benennt und dabei mit einer guten Pointe übertreibt. Keiner ist beleidigt, man selbst macht es ja ebenso. Berühmt sind auch die Pub-Geplänkel, man steht an der Theke, wo ein frecher Gag den nächsten provoziert. Oder man spielt mit gnadenlosem Understatement (siehe die Bemerkung über den Orkan). Ähnlich beliebt ist die witzige Selbstkritik, mit der man seinen Fehler zugibt, aber ihn in Humor kleidet und damit anderen die Kritik erspart. So funktioniert England. Selbst das Absurde ist eine übliche Form und hoch respektiert. Nur so konnte sich über Jahrhunderte die britische Exzentrik herausbilden. Oscar Wilde ging in Oxford mit einem Hummer an der Leine spazieren, und Lord Byron hielt sich in Cambridge einen Bären, weil er sich über das Hundeverbot geärgert hatte. How funny!, freuen sich die Engländer. Geben wir’s zu. Wären wir manchmal nicht auch gerne so locker wie sie?