In Ihrem neuen Roman «Das Haus am Gänsemarkt» zeichnen Sie ein großes Panorama der Franzosenzeit am Beispiel einer hanseatischen Kaufmannsfamilie. Was bedeutet die Besetzung der Stadt durch die Truppen Napoleons für die Familie Brestetten?
Als recht wohlhabende und gut vernetzte hanseatische Familie haben die Brestettens wie viele andere von der neuen französischen Verwaltung Fortschritt erwartet, aber sie müssen die Ausplünderung und den Niedergang ihrer Stadt erleben. Arnold Brestetten, Herr des Hauses, bemühte sich lange um Anpassung an die neuen herrschenden Instanzen. Spätestens als sein Haus von einem französischen Offizier und dessen Entourage besetzt wird und auch seine Geschäfte durch die Kontinentalsperre leiden, wird ihm klar, dass all das nichts mit den Idealen der Französischen Revolution gemein hat.
Ihr Leben wird bescheidener, aber immerhin reichen ihre Ressourcen. Jedes Familienmitglied erlebt die Folgen der Annexion auf eigene Weise. Der älteste Sohn wird auf Napoleons „Einladung“ in Frankreich ausgebildet, der jüngere gerät in einen Aufstand und will im Widerstand für Deutschland zum Helden werden, eine der Töchter träumt von Paris und verlobt sich mit einem eleganten französischen Offizier, der alte Patriarch hütet auf dem Landgut grimmig Familienschätze vor den beständig konfiszierenden Franzosen …
Und Johanna, die eher stille Dame des Hauses, lernt es, pragmatisch zu handeln, und trifft in dieser wirren Zeit eine alte, ganz und gar nicht standesgemäße Liebe wieder …
Welche besondere Rolle spielt Sophia, eine der Hauptfiguren, in der Familie?
Johanna Brestettens Nichte ist in London aufgewachsen, Feindesland für die Franzosen. Ihre Eltern halten sich anno 1812 längst in Amerika auf, wegen des Krieges konnte Sophia ihnen nicht folgen. Sie ist willkommen und fühlt sich wohl im Haus am Gänsemarkt. Als junge Frau mit einer unkonventionelleren Erziehung blickt sie unbefangener und wissbegieriger auf das zunehmend dramatische Geschehen in der Familie, der vielschichtigen Stadt, auf die Besatzung und das Kriegsgeschehen. Sie wird bald eine Art Bindeglied zwischen den Fraktionen. Im Lauf der Geschichte entwickelt sie Mut, Empathie und gewitzten Widerstandsgeist, die das alltägliche Leben in einer annektierten Stadt erfordert.