Herr Frankopan, Sie sagen, dass Sie sich schon als Kind intensiv mit den Bedrohungen unseres Planeten beschäftigt haben. Wie kam es dazu?
Ich habe Nachrichten geschaut. Meine Generation ist mit der Angst vor einem Atomkrieg und einer globalen Katastrophe aufgewachsen. Meine Kindheit war von der Vorstellung geprägt, dass sich der Kalte Krieg in etwas verwandeln würde, das Millionen von Menschen tötet: entweder durch die direkten Auswirkungen von Atomangriffen, durch die nachfolgende Strahlung oder durch den «nuklearen Winter», ausgelöst durch die Abschirmung von Sonnenstrahlen durch die Trümmer, die durch massive Explosionen in den Weltraum geschleudert würden. Unsere Ängste wurden durch den sauren Regen, die Katastrophe von Tschernobyl und die ersten Warnungen über den Amazonas noch verstärkt. Mein ganzer Jahrgang hat das mitgemacht. Ich glaube, das Ende des Kalten Krieges vermittelte ein falsches Gefühl von Sicherheit und trug dazu bei, dass viele den Eindruck hatten, die Welt bewege sich von nun an in die richtige Richtung – im heutigen Rückblick auf Russland, China, Klima, Krankheiten und so weiter war es offensichtlich die falsche.
Ihre Forschungsschwerpunkte als Historiker und Byzantinist sind der Mittelmeerraum, der Nahe Osten, Russland, Persien und Zentralasien. Eine Ihrer letzten großen Veröffentlichungen befasst sich mit den Seidenstraßen, den alten und den neuen. Was haben Sie aus Ihren früheren Studien für Ihr neues Buch mitgenommen?
Erstens, dass man immer weiter lernen und die geographischen und zeitlichen Grenzen verschieben muss. Durch die eigene Spezialisierung schränken sich viele Wissenschaftler:innen selbst ein. Als junger Wissenschaftler wollte ich immer mehr tun, weitere Regionen miteinander verbinden und neue Sprachen lernen. Mit so einem umfassenden Forschungsgebiet wie meinem gab ich Seminare über das Byzantinische Reich von 300 bis 1453 oder das globale Europa, während meine Kolleg:innen einen ganzen Seminarplan mit der Poesie des Ersten Weltkriegs füllten. Ich weiß nicht, wie gut meine Vorlesungen vor fast dreißig Jahren waren, als ich damit anfing – aber sie haben meinen Ehrgeiz geweckt. Wie kann man zum Beispiel Russland verstehen, indem man den Blickwinkel verschiebt, das Land aus dem Süden betrachtet, dem Kaukasus und dem Iran, Zentralasien, China und sogar aus Regionen darüber hinaus? Es braucht Mut, um sich von einer eurozentristischen Perspektive zu befreien. Aber es ist die Pflicht von Historiker:innen, ehrgeizig und mutig zu sein.