Im Gespräch

«Jede Radikalisierung ist die Geschichte einer Verführung»

Deradikalisierung braucht Zeit. Wie Manipulation funktioniert – und wie man sich gegen sie wappnen kann

Interview mit Dana Buchzik

Querdenker-Demos, gewaltbereite Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker – immer mehr Menschen driften auf der Suche nach Halt und Orientierung in radikale Ideen- und Vorstellungswelten ab, finden Antworten in Chat-Gruppen, Internetforen und auf fragwürdigen Webseiten. Immer häufiger wissen Freunde und Angehörige sich im Umgang mit Betroffenen nicht mehr zu helfen. Dana Buchzik erklärt die Psychologie hinter dieser Entfremdung. Sie zeigt Strategien auf, wie man den Kontakt zu Betroffenen aufrechterhalten und konfliktärmer gestalten kann und was darüber hinaus in der Bildungsarbeit, in Politik und Sozialwesen wichtig wird, wenn wir auch in Krisenzeiten als Gesellschaft bestehen wollen.

Das Interview

Sie wurden «in eine Sekte hineingeboren», haben den «Zauber radikaler Ideologien» selbst hautnah erlebt. Wie war – emotional und beruflich – Ihr Weg zu dem, was Sie heute als Journalistin und Autorin beschäftigt: die «No Hate Speech»-Kampagne, Workshops und ehrenamtliche Beratung zu den Themen Radikalisierung und Verschwörungsmythen?
Mir erging es wie vielen Sektenmitgliedern der zweiten Generation: Die Ideologie der Gruppe, in die ich hineingeboren wurde, ist mir letztlich fremd geblieben. Den Zauber aber, den sie so offensichtlich auf andere ausübte, wollte ich unbedingt verstehen. Als Teenager habe ich vergeblich nach Sachbüchern gesucht, die keine tragischen Einzelschicksale abbilden, sondern aufs große Ganze schauen und erklären, warum Menschen radikalen Ideologien verfallen. Gute Antworten habe ich erst ein paar Jahre später gefunden, in Artikeln und Fachbüchern der Menschen, die weltweit zum Thema forschen. Als Journalistin war mein Eindruck, dass Berichterstattung über Radikalisierung oft nur dann stattfindet, wenn Radikale Attentate verüben oder prominent sind. Deswegen habe ich andere Wege eingeschlagen, erst als Redaktionsleiterin der deutschen «No Hate Speech»-Kampagne, später als Dozentin und Kommunikationsberaterin, um über die Gefahr aufzuklären, die Radikalisierung nicht nur für Einzelne, sondern für die ganze Gesellschaft bedeutet.

Im ersten Teil Ihres Buches bringen Sie uns auf den neuesten Stand der internationalen Radikalisierungsforschung. Was läuft, vor diesem Hintergrund betrachtet, hierzulande falsch im Umgang mit «Querdenkern»/Pandemieleugnern – medial wie politisch?
Der Journalismus hat viel zu lange über die vermeintlich neue Erkenntnis lamentiert, dass auch «ganz normale» Menschen radikal sein können, statt von Anfang an Netzwerkstrukturen, dubiose «Spenden»aufrufe und internationale Geldbewegungen in den Blick zu nehmen. Diverse Spitzenpolitiker haben sich bis ins Jahr 2021 hinein geweigert, die rechte Vereinnahmung der Querdenken-Demonstrationen anzuerkennen, und immer wieder öffentlich einer radikalen Minderheit Verständnis ausgesprochen, die mit ihrem Verhalten Leben gefährdet und die Mehrheitsgesellschaft in Geiselhaft nimmt. Die neue Bundesregierung möchte gegen Radikalisierung unter anderem mit Argumentationshilfen vorgehen – sicher ein kostengünstiger, vor allem aber ein zum Scheitern verurteilter Ansatz: Dass Gegenrede nichts bringt, wenn Emotionen im Spiel sind, ist seit den 1950er-Jahren bekannt.

Wenn manche Menschen derart verrannt sind in haarsträubende Ideen (gechippt von Bill Gates, unterdrückt von einer totalitären «Weltregierung» etc.), dass sie weder durch Argumente noch durch Nähe erreichbar sind – bleibt einem da anderes übrig als die Kapitulation?
Das ist vermutlich die Frage, die mir am häufigsten gestellt wird. Viele Menschen, die sich an mich wenden, sind frustriert und erschöpft, weil sie immer wieder mit Spott, Wut oder sogar Hass konfrontiert werden. Sie sehnen sich nach einer Ruhepause – für viele liegt da der Gedanke an einen Kontaktabbruch nahe. Und natürlich gibt es Momente, in denen ein Abbruch alternativlos ist, denn Selbstschutz kommt immer zuerst. In den meisten Fällen aber beruhigt und verbessert sich die Lage, wenn wir nicht mehr mit Fakten dagegenhalten und die immer gleichen Diskussionen führen, sondern in unserer Kommunikation neue und deeskalierende Wege wagen.

Sobald Angehörige, Partner und Freunde verstehen, dass es ihrem Gegenüber nicht wirklich um die jeweilige Ideologie geht, sondern nur darum, sich auserwählt zu fühlen, können sie damit aufhören, ihre Zeit mit ‹Faktenbingo› zu vergeuden.

Ob Islamischer Staat, Moon-Sekte, Reichsbürger oder QAnon-Anhänger: Sie alle, schreiben Sie, leben in selbst inszenierten Heldengeschichten, sehen sich als Auserwählte, als Wissende. Wie geht man in der Beratungsarbeit mit solchen Opfer-/Heldenidentitäten um?
Ich berate Angehörige, Partner und enge Freunde von radikalisierten Personen, weil sie am ehesten bereit sind zu bleiben, auch wenn Gehen leichter wäre. Sie können den Halt und die Unterstützung vermitteln, die radikale Menschen dringend brauchen, auch wenn sie im Alltag fatalerweise oft das Gegenteil vermitteln und andere immer wieder vor den Kopf stoßen und abweisen. Das Heldennarrativ ist in der Beratungsarbeit ein wichtiger Schlüssel: Sobald Angehörige, Partner und Freunde verstehen, dass es ihrem Gegenüber nicht wirklich um die jeweilige Ideologie geht, sondern nur darum, sich auserwählt zu fühlen, können sie damit aufhören, ihre Zeit mit «Faktenbingo» zu vergeuden. Stattdessen ist Raum für die Suche nach Alternativen: Was hat die radikale Person früher interessiert und begeistert? Was war ihr größtes Ziel? Was oder wer hat ihr geholfen, schwere Zeiten zu überstehen? Was oder wer kann sie jetzt dabei unterstützen, ihr Leben auch ohne radikale Ideologien als sinnvoll wahrzunehmen?

Wären Sie juristisch und exekutiv in der Lage, bindende Vorschriften gegen die «Radikalisierungsmaschinen» Facebook & Co. zu verhängen – was würden Sie tun?
Bindende Vorschriften gibt es längst: Das Grundgesetz gilt auch online. Die Plattformen werden aber bis heute nicht konsequent sanktioniert, wenn sie Täter ungestört beleidigen, drohen und hetzen lassen. Meiner Meinung nach ist es höchste Zeit für eine Regelung, die es jedem Opfer von ungelöschtem Hass im Netz – oder dessen Krankenkasse – ermöglicht, per Schnellverfahren Schmerzensgeld einzuklagen.

Deradikalisierung braucht – neben Wissen, Geduld und Empathie der Beteiligten – auch eine solide Finanzierung. Wie sieht es bei uns mit den Rahmenbedingungen dafür aus?
Es gibt Förderprogramme wie «Demokratie leben», die jährlich Millionen von Steuergeldern ausschütten. Allerdings werden hier immer wieder NGOs und Vereine unterstützt, deren Arbeit zum Gutteil darin besteht, für Gegenrede zu werben, statt tatsächlich wirksame Kommunikationsstrategien und fundierte Informationen über Radikalisierung zu vermitteln. An Geld fehlt es also nicht; es wäre aber in vielen Fällen anderweitig besser investiert: Wir brauchen dringend gute Überblicksarbeiten über die radikale Szene Deutschlands, Forschung zu wirksamen Deradikalisierungsstrategien und langfristige Finanzierung für wissenschaftlich fundiert arbeitende Beratungsstellen und Ausstiegshilfen.

Warum wir Familie und Freunde an radikale Ideologien verlieren – und wie wir sie zurückholen können

Querdenken-Demos, gewaltbereite Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker - immer mehr Menschen driften auf der Suche nach Halt und Orientierung in radikale Ideen- und Vorstellungswelten ab, finden Antworten in Chat-Gruppen, Internetforen und auf fragwürdigen Webseiten. Immer häufiger wissen Freunde und Angehörige sich im Umgang mit Betroffenen nicht mehr zu helfen, fehlen Strategien, um miteinander im Kontakt und Gespräch zu bleiben. Wie können wir diesen Entwicklungen begegnen? Dana Buchzik erklärt die Psychologie hinter dieser Entfremdung, sie zeigt Strategien auf, wie jeder Einzelne den Kontakt zu Betroffenen aufrechterhalten und konfliktärmer gestalten kann und was darüber hinaus in der Bildungsarbeit, in Politik und Sozialwesen wichtig wird, wenn wir auch in Krisenzeiten als Gesellschaft bestehen wollen.

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Dana Buchzik

Dana Buchzik

Dana Buchzik, geboren 1983, ist in einer Sekte aufgewachsen. Als junge Erwachsene stieg sie aus. Nach einigen Jahren als Kulturjournalistin (u.a. für FAZ, Spiegel Online, SZ, Welt und ZEIT) war sie Redaktionsleiterin der «No Hate Speech»-Kampagne, der deutschen Sektion einer europaweiten Kampagne des Europarats gegen Hass im Netz. Dana Buchzik gibt Workshops zum Umgang mit Hass und Verschwörungserzählungen, unter anderem für die Bertelsmann Stiftung und die Friedrich-Ebert-Stiftung, lehrt an der Freien Universität Berlin zum Thema und berät ehrenamtlich Menschen, die im direkten Umfeld mit Radikalisierung konfrontiert sind.

https://danabuchzik.de, Twitter: (@danabuchzik)