Im Gespräch

"Ein gesunder Rücken ist auch Kopfsache" im Gespräch mit Catrin Marnitz

Starker Rücken, starkes Ich! Catrin Marnitz ist leitende Psychologin am renommiertesten Rückenzentrum Deutschlands und hat zusammen mit Tina Epking einen leicht zugänglichen Ratgeber geschrieben, der erstmals die Wechselwirkung zwischen Rückenschmerzen und psychischer Belastung beleuchtet.

Im Gespräch mit Catrin Marnitz

Du bist Psychologin und hast dich auf Schmerztherapie spezialisiert. Im Buch betonst du, dass du eine interdisziplinäre Herangehensweise verfolgst und eng mit Orthopäden und Physiotherapeuten zusammenarbeitest. Was war der Auslöser für dich, den Fokus auf die psychologischen Aspekte von Rückenschmerzen zu legen?

Es gab mehrere Auslöser, meinen Fokus als Schmerzpsychotherapeutin auf die psychologischen Aspekte zu legen. Zunächst einmal arbeite ich seit 20 Jahren im Rücken Zentrum am Michel, welches sich basierend auf der Schmerzforschung auf die interdisziplinäre Schmerzbehandlung spezialisiert hat. Darüber hinaus habe ich im Rahmen meiner Weiterbildung in „Spezielle Schmerzpsychotherapie“ ein fundiertes Wissen über die psychologischen Faktoren der Schmerzchronifzierung erworben. Ein Auslassen der psychologischen Aspekte kann somit meist nur einen Teilerfolg in der Behandlung erbringen. 

 

Viele Menschen mit Rückenschmerzen suchen zunächst Hilfe in der Physiotherapie. Ihr erklärst jedoch in deinem Buch, dass selbst bei nachweisbaren körperlichen Veränderungen psychische Belastungen oft die eigentliche Ursache sind und Physiotherapie allein manchmal nicht ausreicht, um die Schmerzen langfristig in den Griff zu bekommen. Welche Rolle spielt der "Kopf" – also unsere Gedanken, Gefühle und Bewertungen – bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Rückenschmerzen, und warum ist es aus deiner Sicht entscheidend, diesen Aspekt in der Behandlung nicht zu vernachlässigen?

Zunächst einmal müssen wir in der Schmerzbehandlung zwischen akuten und chronischen Schmerzen differenzieren. Wenn wir über schmerzbezogene Gedanken, Gefühle oder Verhaltensänderungen sprechen, dann sind sie ein Risikofaktor für Schmerzchronifzierung. Diese entwickelt sich nach 3 Monaten ein. Insbesondere, wenn Angst im Spiel ist. Je länger eine Schmerzsymptomatik andauert, desto mehr sollte man diese psychologischen Risikofaktoren erfragen und gegebenenfalls in die Behandlung mit einbeziehen.

Die Themen Rücken und Psyche sollte man immer gemeinsam behandeln. Das ist in den Köpfen der Menschen nur noch nicht so angekommen, wie ich es mir wünschen würde. Zu viele Patientinnen und Patienten werden häufig noch so behandelt, als hätte das eine mit dem anderen gar nichts zu tun. Da, wo ich arbeite, machen wir es anders.

Du beschreibst, dass viele deiner Patienten eine lange Odyssee von Behandlungen hinter sich haben, die oft nicht geholfen haben. Du sprichst davon, dass Schmerz nach einer gewissen Zeit von einem Warnsignal zu einer eigenen Krankheit werden kann, die "erlernt" ist. Welche psychischen und sozialen Faktoren sind besonders entscheidend dafür, dass Schmerzen länger anhalten als nötig, und wie kann das Verständnis dieser Faktoren den Therapieansatz verändern, um eine Chronifizierung zu vermeiden oder zu durchbrechen?

Bei der Entstehung chronischer Schmerzen spricht man vom Bio-Psycho-Sozialen Erklärungsmodell. Oft verbirgt sich hinter einer Odyssee eine Anreihung ausschließlich körperlicher passiver Therapiemaßnahmen, die nur kurzfristig wirksam sind. Konkret sind diejenigen Faktoren entscheidend, die auf allen Ebenen Ängste, sozialen Rückzug und die Vermeidung körperlicher Aktivitäten implizieren. Um nur einige zu nennen. 

 

Du sprichst davon, dass chronische Rückenschmerzen oft dazu führen, dass Betroffene soziale Kontakte vernachlässigen und sich zurückziehen, obwohl dies den Heilungsprozess behindern kann. Wie wichtig ist das soziale Umfeld für die Schmerzbewältigung, und welche Strategien gibst du Patienten an die Hand, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen und wieder am Leben teilzuhaben?

Zunächst gilt hier der Satz „Wissen ist Macht“. Als Schmerzpatient:in muss man verstehen, was Schmerz genau ist und was sich über die Zeit im Kopf und im Körper verändert. Nur so kann man den Mut fassen, trotz Rückenschmerzen wieder aktiv zu werden und Schonhaltungen abzulegen. Das setzt eine gute interdisziplinäre Diagnostik und Behandlung voraus. Der zweite Aspekt ist die Rückkehr in die Alltagsaktivität trotz Schmerz. Das soziale Umfeld ist sehr wichtig, da gute Beziehungen zu anderen Menschen und Tagesstruktur durch die Arbeit oder Hobbies für unseren mentalen Ausgleich enorm wichtig sind.  

Yvonne Schmedemann
© Yvonne Schmedemann
Catrin Marnitz

Catrin Marnitz hat Psychologie in Münster studiert und am Institut für Verhaltenstherapie Hamburg die Approbation zur Psychologischen Psychotherapeutin erworben. Heute ist sie die leitende Diplom-Psychologin am renommierten Rückenzentrum Am Michel in Hamburg. Bevor sie vor 20 Jahren dorthin wechselte, war sie in der Psychiatrie des Universitätskrankenhauses Eppendorf tätig. 2010 schloss sie die Weiterbildung im Bereich der Speziellen Schmerzpsychotherapie ab.

Zur AutorinBücher von Catrin Marnitz
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Tina Epking

Tina Epking hat Deutsche Literatur- und Medienwissenschaften und Spanisch in Düsseldorf und Hamburg studiert und ist Absolventin der Axel Springer Akademie in Berlin. Sie arbeitet seit 20 Jahren als Redakteurin, Journalistin und Autorin für Titel wie BRIGITTE, ZEIT ONLINE und DIE WELT.

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