Im Gespräch: Colombe Schneck
In Frankreich ist Colombe Schneck ein literarischer Star, mit der "Paris-Trilogie" erobert sie nun die internationale Verlagswelt. Das Buch erscheint u.a. in den USA, in Holland, England, China und Brasilien. Die Romantrilogie erzählt auf überragende Weise von den großen Themen im Leben einer Frau: Körper, Sexualität, Klasse, Herkunft, Freundschaft, Liebe, Tod.

In der «Paris Trilogie» heißt es: «Meine Mutter ist Feministin, wie auch ihre Mutter vor ihr. Der Kampf meiner Mutter ist der einer Welt, die nicht mehr existiert.» Was meinen Sie damit?
Jede neue Gesellschaft führt ihre eigenen Kämpfe. Meine Großmutter kämpfte dafür, studieren und ihren Ehemann selbst wählen zu dürfen, meine Mutter kämpfte für das gleiche Gehalt wie Männer und den Zugang zu bestimmten Posten. Mit Siebzehn dachte ich, es ist alles in Ordnung, wir haben die Gleichberechtigung von Frau und Mann erreicht. Ich habe mich von meinesgleichen mitreißen lassen und erst viel später begriffen, dass wir gar nichts erreicht haben. Dass für die Gesellschaft und für mich selbst – und ich bin eine Frau, also eine zerbrechliche, zarte, freundliche, gehorsame Person, dazu bestimmt, Kinder zu bekommen, ohne das Bedürfnis, für etwas zu kämpfen - alles so genügen sollte.
In Ihrem Buch spielt das Schwimmen eine große Rolle. Was geschieht physisch und in Ihrem Kopf, wenn Sie im Wasser sind? Ähnelt der Vorgang des Schwimmens dem des Schreibens?
Wenn ich im Wasser bin, hat mein Körper das Sagen (ganz anders als draußen, da ist mein Gehirn viel zu aktiv ist, um meinen Körper bestimmen zu lassen). Ich habe die Erfahrung gemacht, dass meine Bewegungen über eine Intelligenz, über eine hellseherische Gabe verfügen, und das hat mir große Kraft gegeben. Beim Schwimmen bin ich gezwungen, mich so geschmeidig wie möglich zu verhalten, alles Überflüssige zu vermeiden, das einem den Weg versperrt und einen daran hindert voranzukommen. Mittlerweile schreibe ich auch auf diese Weise, es gibt kein Wort, kein Komma zu viel.


Paris-Trilogie
Paris-Trilogie
In Ihren Romanen ist die Endlichkeit ein großes Thema. Kann man die Angst vor dem Tod verlieren?
Ich habe mich lange dem Thema Tod verweigert, ich habe den Tod so weit als möglich von mir ferngehalten, als ob er nicht existiert. Dabei komme ich aus einer Familie, in der der Tod, die Zerstörung sehr präsent sind, allerdings eingehüllt in Schweigen. Man sprach nicht über die Gespenster der Vergangenheit. Dank meiner Bücher konnte ich sehr lange diese Leerstellen auffüllen, konnte Namen, Identitäten wiederfinden. Ich fühle mich durch meine Vergangenheit sehr bereichert, eine Erfahrung, die ich gerne bereit bin weiterzugeben. Heute erscheint mir alles, was ich erlebe, ein »Noch mehr« zu sein, ein Geschenk.
Welche Funktion hat die Literatur für Sie?
Als Kind habe ich immer und egal was gelesen, ich musste ein Vakuum füllen. Ich las das Branchenverzeichnis, auf der Suche nach Namen und Adressen, ich las schlechte Bücher, ich hatte das Bedürfnis, mich mit Wörtern vollzustopfen, die es bei meinen Eltern nicht gab. Sie konnten zu dem, was ihnen geschehen war, nichts sagen. Die Literatur ist immer ein Trost, aber nicht nur das, sie ist ein Ort, an dem ich nicht alleine bin, dort finde ich eine befreundete Stimme, die mich begleitet, die zu mir spricht, mich versteht.
Welche drei Romane sind für Sie die wichtigsten und warum?
Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Proust weiß alles über uns, über unsere Obsessionen, unsere Ängste, unser Kleinklein, unseren Ehrgeiz, es gibt nichts, was er nicht durchleuchtet, den Sex, die Politik, die menschlichen Beziehungen, und er macht das mit so viel Humor und so unerbittlich. Man findet bei ihm die ganze Welt, Proust lesen bedeutet zu wachsen, menschlicher zu werden.
Philip Roth, Portnoys Beschwerden, ich habe so gelacht beim Lesen - ich glaube, ich war vierzehn -, dass ich vom Sofa gefallen bin. Er sprach über meine Familie, über meine verklemmte Großmutter, über all das, worüber man außerhalb der eigenen vier Wände nicht sprechen durfte. Sehr amüsant.
Annie Ernaux, Eine vollkommene Leidenschaft, wegen des letzten Satzes, den ich aus dem Gedächtnis zitiere, also nicht wortgetreu, aber in dem Sinne: «Als ich jung war, glaubte ich, dass Luxus bedeutet, schöne Kleider zu besitzen, Bücher zu kaufen, heute weiß ich, dass der größte Luxus ist, jemanden zu lieben. »