Als Joe Biden als Präsident der USA antrat, hofften viele, dass er die zerrissene Nation einen, ihre Wunden heilen könnte. Heute sind die gesellschaftlichen Gräben tiefer denn je. Rechte Gruppen haben sich weiter radikalisiert, Donald Trump bereitet seine Rückkehr ins Weiße Haus vor, und das Misstrauen gegenüber Politik und Staat ist so groß wie nie. Claudia Buckenmaier, bis 2022 Korrespondentin und Leiterin des ARD-Studios in Washington, hat Reportagereisen quer durch das Land unternommen, zu Menschen, deren Geschichten zeigen, wo die USA heute stehen. In ihrem Buch fühlt die ausgewiesene USA-Kennerin der mächtigsten Nation der Welt den Puls: Gibt es Hoffnung auf Versöhnung – oder ist Amerika dabei, sich selbst zu verlieren? Und was bedeutet das für uns?
«This is not who we are!»
Momentaufnahme USA – das scharfsichtige Porträt eines gefährlich destabilisierten Landes
DAS INTERVIEW
Seit Donald Trumps Präsidentschaft hat sich die politische Konfrontation in den USA radikalisiert. Laxe Waffengesetze und rechtsradikale Milizen, Black Lives Matter und Einwanderungspolitik, unliebsame Inhalte in Lehrplänen und Cancel Culture, die Politisierung der Pandemie. Wie wichtig sind in diesem Zusammenhang die Midterm Elections am 8. November, quasi die «Halbzeitbilanz» der Biden-Amtszeit?
Diese Wahlen sind immer eine Art Gradmesser dafür, wie der jeweilige Präsident in der Bevölkerung ankommt. In diesem Jahr möglicherweise noch mehr als sonst, denn es geht bei den Midterms 2022 nicht «nur» um ein Urteil über die Politik der Biden-Regierung, sondern auch um die Frage, inwieweit Ex-Präsident Trump noch in der Lage ist, die Richtung der Republikanischen Partei zu bestimmen. Viel wird von der Frage abhängen, ob sich eine Mehrzahl der von ihm unterstützten Kandidaten durchsetzen kann. Ihnen gemeinsam ist, dass sie allesamt noch immer das Ergebnis der Präsidentschaftswahl 2020 und damit die Rechtmäßigkeit der Wahl Bidens anzweifeln. Aber auch dessen Politik muss sich dem Votum der Wählerinnen und Wähler stellen. Nachdem die Beliebtheitswerte des Präsidenten lange Zeit im Keller waren, haben sie sich jüngst wieder etwas erholt. Aber ob das reichen wird, um eine Niederlage seiner Partei zumindest in einer der beiden Kammern im Kongress zu verhindern? Zu diesem Zeitpunkt bezweifle ich das.
Demokraten und Republikaner, Republikaner und Demokraten: Gibt es realistische Alternativen zu der durch das spezielle US-Wahlsystem ständig reproduzierten Zweiparteienlandschaft?
Nein, die gibt es nicht. Jedenfalls nicht auf nationaler Ebene. Dafür müsste das Wahlrecht geändert werden, und dafür gibt es keine Mehrheit. Auf regionaler und lokaler Ebene können sich immer auch mal wieder Kandidatinnen und Kandidaten kleinerer Parteien oder auch Parteilose durchsetzen. Im Bund gibt es nur wenige Ausnahmen. Bernie Sanders zum Beispiel sitzt als unabhängiger Politiker im Senat, wird aber den Demokraten zugerechnet, ist ja auch bereits zweimal als Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei angetreten. Hin und wieder tritt auch jemand als unabhängiger Präsidentschaftskandidat oder -kandidatin an. Die kosten dann die große Partei, der sie inhaltlich nahestehen, wichtige Stimmen. Eine Veränderung des Zweiparteiensystems scheint mir auf lange Sicht unrealistisch.
Kaum ein Politiker, eine Politikerin kann einen Wahlkampf in den USA ohne die finanzielle Unterstützung von Lobbyisten bestreiten.
QAnon-Wirrköpfe, Evangelikale, Trump-Republikaner: Konservative Netzwerke scheinen viel enger geknüpft zu sein und effektiver zu arbeiten als die ihrer demokratischen Gegner. Woran liegt das?
Vor allem die Evangelikalen sind sehr gut organisiert mit einem klaren Ziel: Sie wollen die US-amerikanische Gesellschaft so verändern, dass sie deutlich konservativer wird, ausgerichtet an einem religiösen System, an ihrem Glauben. Dafür nutzen sie ihren Einfluss auf die Politik, oft durch große Geldspenden. Kaum ein Politiker, eine Politikerin kann einen Wahlkampf in den USA ohne die finanzielle Unterstützung von Lobbyisten bestreiten. Der Einfluss der Geldgeber auf politische Inhalte scheint so garantiert. Auch haben konservative Gruppen sehr früh damit angefangen, ihren Einfluss auf lokale Gremien auszubauen, indem sie zum Beispiel dafür sorgen, dass ihre Kandidaten bei der Wahl ins «School Board», eine Art Schulrat, erfolgreich sind. Deren Einfluss ist nicht zu unterschätzen und macht sich in diesen Wochen und Monaten bei dem Kulturkampf um die «richtigen» Bücher und Lernmaterialien deutlich bemerkbar.
Auf der anderen Seite stehen die Demokraten. Eine sehr vielfältige Partei mit einer enormen Spannbreite von ganz links bis hin zu einem eher konservativen Flügel, der in manchen Fragen den Republikanern nahesteht. Das alles unter einen Hut zu bekommen, ist enorm schwierig. Bei der Präsidentschaftswahl 2020 funktionierte es vor allem, weil die Demokraten ein gemeinsames Ziel und in Donald Trump einen gemeinsamen Gegner hatten, dessen Wiederwahl sie auf alle Fälle verhindern wollten. Das hat viele motiviert, sich trotz inhaltlicher Differenzen hinter Biden zu stellen. Aber das allein wird in 2022 nicht mehr funktionieren.
«This is not who we are!» Mit diesem flehentlichen Appell wandte sich Joe Biden nach dem Sturm aufs Kapitol an die Amerikaner:innen. Ist dieses «verwundete Land» so zerrissen, so hoffnungslos fragil, dass in Zukunft selbst bürgerkriegsähnliche Verhältnisse nicht auszuschließen sind?
Das habe ich mich während meiner Zeit in den USA immer wieder gefragt: Kann es tatsächlich so weit kommen? Der Sturm aufs Kapitol zeigte, es kann. In einem Land, in dem fast jeder leicht an eine Waffe kommen kann und in dem bereits jetzt so viele Waffen im Umlauf sind, ist vieles denkbar. Auch ein Konflikt, der eskaliert, vor allem da Gruppen auf beiden Seiten des politischen Spektrums bewaffnet sind. Nach dem 6. Januar hatte ich die Hoffnung, dass die gewaltsamen Ausschreitungen eine Art Weckruf sein könnten, der hilft, die Spaltung zu überbrücken, aber meiner Ansicht nach war das Gegenteil der Fall. Die Fronten haben sich danach nur noch weiter verhärtet.
Wer rettet Amerika?
Als Joe Biden als Präsident der USA antrat, hofften viele, dass er die zerrissene Nation einen, ihre Wunden heilen könnte. Heute sind die gesellschaftlichen Gräben tiefer denn je. Rechte Gruppen haben sich weiter radikalisiert, Donald Trump bereitet seine Rückkehr ins Weiße Haus vor, und das Misstrauen gegenüber Politik und Staat ist so groß wie nie.
Claudia Buckenmaier, bis 2022 Korrespondentin und Leiterin des ARD-Studios in Washington, ist eine ausgewiesene Kennerin Amerikas. Reportagereisen haben sie quer durch das Land geführt, zu Menschen, deren Geschichten zeigen, wo die USA heute stehen. Darunter ein hispanischer Sheriff einer texanischen Grenzstadt, der das Versagen der amerikanischen Einwanderungspolitik täglich miterlebt; ein Pastor aus Ohio, der mitansehen muss, wie seine Gemeinde immer extremeren Verschwörungstheorien verfällt; ein demokratischer Abgeordneter, der im Sitzungssaal war, als das Kapitol von einem wütenden Mob gestürmt wurde. In ihrem Buch fühlt Buckenmaier der mächtigsten Nation der Welt den Puls: Gibt es Hoffnung auf Versöhnung, oder ist Amerika dabei, sich selbst zu verlieren? Und was bedeutet das für uns? Das ebenso persönliche wie scharfsichtige Porträt eines gefährlich destabilisierten Landes.
Eine der mutigsten Entscheidungen Bidens war die Ernennung von Deb Haaland zur ersten indianischstämmigen Innenministerin der USA. Damit kam automatisch die innere Kolonisierungsgeschichte Amerikas, der Genozid an den Native Americans auf die Agenda. Was hat diese Personalie für die indigene Bevölkerung bewirkt?
Viele haben das gefeiert, im ganzen Land. Man muss sich vorstellen, dass es weit mehr als 500 anerkannte indigene Völker beziehungsweise Stämme in den USA gibt. Deb Haaland ist für viele ein Vorbild. Das war auch schon so, als sie zwei Jahre zuvor gemeinsam mit Sharice Davids zu den ersten beiden indigenen Frauen im amerikanischen Kongress gehörte. Dennoch ist jetzt, zwei Jahre später, die Bilanz gemischt. Die einen verteidigen sie, sagen, dass die Ministerin vielen Zwängen unterliege und man sie nicht mit zu hohen Erwartungen konfrontieren dürfe. Haaland muss ja einen enormen Spagat bewältigen: Sie ist zuständig für den Schutz indigener Interessen, vor allem von Land, das Indigene als heilig betrachten, ist aber zugleich verantwortlich für die Vergabe von Bohr- oder Frackinglizenzen. Keine einfache Aufgabe. Manche setzen daher inzwischen keine großen Hoffnungen mehr in die Politikerin. Sie sei auch eine von denen in Washington, die Politik über die Köpfe von Betroffenen hinweg mache. Ein Argument, das man in den USA von so vielen Gruppen hört, auch von Indigenen. Und das macht dann auch nicht halt vor einer Ministerin, die aus ihren Reihen stammt.
Bei vielen Ihrer Gesprächspartner:innen schwingt die «Sehnsucht nach mehr Mitte» mit. Joe Frank Martinez, der erste hispanische Sheriff in Val Verde County, Texas, drückt es so aus: «Es muss doch etwas in der Mitte geben, nicht nur die Extreme. Man muss Menschen finden, die miteinander eine Lösung finden.» Wie groß ist Ihre Hoffnung auf einen «Mittelweg» in einer derart polarisierten Gesellschaft?
Meine Hoffnung? Es wäre schön, wenn es möglich wäre, einen Mittelweg zu finden, aber ich sehe diesen Weg gegenwärtig nicht. Ich habe diesen Satz von so vielen Gesprächspartnern gehört, nicht nur von dem texanischen Sheriff an der Grenze zu Mexiko, der Mitglied der Demokratischen Partei ist, aber an der Einwanderungspolitik seiner Partei verzweifelt. Viele Menschen sehnen sich nach dieser Mitte, nach einer weniger aufgeregten Politik, aber zugleich sind bei Wahlen meist die Kandidaten erfolgreich, die geschickt auf der Empörungswelle reiten, mit provokativ zugespitzten Aussagen Punkte machen. Die Hoffnung auf den Mittelweg ist da, aber ich halte sie zugleich für nicht realistisch, nicht im Moment, nicht in diesen Zeiten, und hoffe zugleich, dass ich mich täusche.