Im Gespräch

«Was bleibt von der Magie des Fußballs, wenn die Sieger schon vorher feststehen?»

Megaclubs – Wie die reichsten Vereine der Welt den Fußball zerstören

Der Fluch der Megaclubs

Fußball war lange das Spiel, in dem jeder mal gewinnen konnte. Seine Unvorhersehbarkeit machte ihn zum beliebtesten Sport der Welt. Doch in den vergangenen Jahren hat sich etwas verändert. Das viele Geld, das vor allem auf die Konten der größten Clubs der Welt geflossen ist, hat eine geschlossene Gesellschaft geformt. Megaclubs wie der FC Bayern, Real Madrid, Manchester City oder Paris Saint-Germain siegen, weil sie Geld haben – und bekommen noch mehr Geld, weil sie siegen. Christian Spiller, Sportchef bei ZEIT ONLINE, hat mit Spielern, Managern, Wissenschaftlern und Fans darüber gesprochen, was falsch läuft im System. Und wie das Spiel doch noch gerettet werden könnte.

Das Interview

Bevor wir zu den wirklichen Megaclubs kommen: Wie geht’s eigentlich Ihrem Herzensclub Energie Cottbus – früher Bundesliga, heute 4. Liga?
Na ja, der letzte Teil der Frage lässt es schon erahnen. Bescheiden natürlich. Immerhin kann man sich mittlerweile auch über Siege gegen den ZFC Meuselwitz freuen. Aber die Treue der Fans und Sponsoren ist außergewöhnlich, und ich glaube zu erkennen, dass sportlich wieder was entsteht. Nächstes Jahr gehen wir wieder hoch. Allerdings habe ich das auch letztes Jahr gesagt. Und vorletztes.

Wenn der Zufall den Reiz des Fußballs ausmacht – wie frustrierend ist es, wenn im Prinzip die immer gleichen sechs bis acht Teams die Champions League unter sich ausmachen?
Ich finde das sehr frustrierend. Es hat sich dieser geschlossene Zirkel gebildet, in dem die Megaclubs von einem sich selbst verstärkenden System profitieren. Wer viel Geld hat, hat Erfolg. Wer Erfolg hat, bekommt noch mehr Geld. Das ist in anderen Gesellschaftsbereichen auch so, wird aber im Fußball auf die Spitze getrieben. Und es wäre doch schön, wenn zumindest noch im Sport der Beste gewinnt und nicht der Reichste. Aber, und das habe ich so richtig erst durch die Recherche für das Buch gelernt: Es gibt viele Fans, vor allem jüngere, die finden es ganz toll, wenn die Bayern hoch gewinnen und Robert Lewandowski in jedem Spiel drei Tore schießt, weil sie eben Robert Lewandowski toll finden. Oder Mbappé. Oder Ronaldo. Die wechseln dann auch den Verein, wenn der Spieler wechselt. Das ist eine völlig neue, globalisierte, lokal kaum noch verwurzelte Herangehensweise an den Fußball.

Es ist schon relevant, wo das Geld herkommt, wie dreckig es ist, wenn man so sagen will.

Der russische Krieg gegen die Ukraine hat für Champions-League-Gewinner FC Chelsea die Geschäftsgrundlagen komplett auf den Kopf gestellt. Roman Abramowitsch wird wegen der Russland-Sanktionen bald nicht mehr Besitzer des Teams von der Stamford Bridge sein. Macht es einen großen Unterschied, ob Chelsea nun die Trophäe eines russischen Oligarchen aus Putins Umfeld, eines Scheichs aus Katar, eines saudi-arabischen Autokraten oder einer US-amerikanischen Investorengruppe ist?
Ich finde schon. Einerseits in moralischer Hinsicht: Es ist schon relevant, wo das Geld herkommt, wie dreckig es ist, wenn man so sagen will. In England scheint der Abramowitsch-Fall gerade eine Debatte genau darüber loszutreten. Welches Geld können und wollen wir noch akzeptieren? Oligarchengeld geht nicht mehr oder Gazprom als Sponsor, okay, aber was ist mit dem aus Saudi-Arabien, wo Journalisten zerstückelt werden, was ist mit dem aus Katar oder den Emiraten? Und auf einer anderen Ebene: Katar und Co. wollen ihre Investments gar nicht in Form von Geld zurück, sondern von Prestige. Das heißt, ihnen ist Geld egal, sie zahlen und zahlen, das verzerrt den Wettbewerb. Investoren aus den USA erwarten eine echte Rendite, können also nicht die ganze Welt zusammenkaufen, müssen haushalten, was in jedem Fall gesünder ist.

Sie beschreiben die Bundesliga als krasse Monokultur. Der FC Bayern München holte in den letzten 25 Jahren 18-mal den Meistertitel; in dieser Spielzeit werden die Bayern, wenn sie sich nicht allzu blöd anstellen, ihren zehnten Titel in Folge einfahren (das hat bisher nur der bulgarische Oligarchenclub Ludogorets Rasgrad hingekriegt). Was müsste passieren, damit die Bundesliga nicht auch in Zukunft eine Bayernliga ist?
Die Einnahmen müssten gerechter verteilt werden. Da denkt man ja zunächst an die TV-Gelder. Bis zur Jahrtausendwende bekam jedes Bundesligateam den gleichen Betrag. Aber selbst wenn man das wieder einführen würde, wonach es nun wirklich nicht aussieht, wäre der Vorsprung der Bayern noch immer extrem. Die verdienen in einem durchschnittlichen Jahr allein durch das Nebengeschäft Champions League mehr, als viele Bundesligaclubs im Alltag umsetzen. Dazu kommt der Riesenvorsprung beim Merchandising und Sponsoring. Das ist unter den derzeitigen Bedingungen schlicht nicht einholbar.

Wenn der FC Bayern aus der nationalen und internationalen TV-Vermarktung fast viermal so viel erlöst wie Arminia Bielefeld, ist dann die viel beschworene Competitive Balance nicht genauso ein Witz wie die bizarren Financial-Fair-Play-Regelungen? Wäre es da nicht konsequenter, Bayern München würde tatsächlich von der Spielwiese Bundesliga auf die milliardenschwere Bühne Super League wechseln?
Ja, das wäre es. Und irgendwann wird die auch kommen. Die spannendere Frage ist, was das mit der Bundesliga machen würde. Würden sich für die Liga dann weniger Leute interessieren oder vielleicht sogar mehr, weil endlich auch mal wieder jemand anderes Meister werden könnte? Ich weiß es nicht. Noch haben die meisten Vereine Angst vor solch einem Szenario, aber es gibt auch die Stimmen, die sagen: Lasst es uns ausprobieren.

Der Fluch der Megaclubs

Fußball war lange das Spiel, in dem jeder mal gewinnen konnte. Seine Unvorhersehbarkeit machte ihn zum beliebtesten Sport der Welt. Doch in den vergangenen Jahren hat sich etwas verändert. Das viele Geld, das vor allem auf die Konten der größten Clubs der Welt geflossen ist, hat eine geschlossene Gesellschaft geformt. Megaclubs wie der FC Bayern siegen, weil sie Geld haben – und bekommen noch mehr Geld, weil sie siegen. Aber wie spannend ist Fußball noch, wenn immer dieselben gewinnen? Christian Spiller, Sportchef bei ZEIT ONLINE, hat mit Spielern, Managern, Wissenschaftlern und Fans darüber gesprochen, was falsch läuft im System. Und wie das Spiel doch noch gerettet werden könnte.

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Der extrem hoch verschuldete FC Barcelona geht eine strategische Partnerschaft mit dem Streamingdienst Spotify (samt Abtretung der Namensrechte am Estadio Camp Nou) ein. Ist das auch eine Reaktion auf die Tatsache, dass dem Fußball sein jüngeres Fansegment wegzubrechen droht?
Ja, vielleicht. Wobei man sich da wahrscheinlich eher mit TikTok oder so hätte zusammentun müssen, Spotify ist doch für Boomer. Aber an Barcelona kann man erkennen, dass es mittlerweile auch unter den Megaclubs Abstufungen gibt. Jene, die sich noch mehr oder weniger selbst finanzieren müssen wie Barca, Real oder die Bayern. Und die anderen, die quasi von Staaten wie Katar oder Saudi-Arabien finanziert werden. Corona hat diesen Graben noch mal vertieft.

Drei Punkte zum Schluss: Wie lange wird es die deutsche 50+1-Regel noch geben? Ist das US-Modell eines geschlossenen Ligensystems ohne Auf- und Abstieg und mit Vereinen als Franchises hierzulande vorstellbar? Und: Wie halten Sie es mit der Winterweltmeisterschaft 2022 in Katar: ein bisschen Vorfreude – oder Augen zu und durch?
50+1 wurde jüngst durch das Bundeskartellamt noch mal gestärkt. Aber der Druck könnte trotzdem weiter steigen. Weil die Regel zum einen natürlich die Verhältnisse zementiert – und zudem die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Clubs international einschränkt. Einen Closed Shop wie in den US-Ligen kann ich mir nicht vorstellen. All die Instrumente dort wie die gleichmäßigere Einnahmenverteilung, die Draft und die geschlossenen Ligen sorgen zwar für sportliche Abwechslung an der Spitze, wären aber ein zu starker Kulturbruch. Was Katar angeht, da habe ich keinerlei Vorfreude, kein bisschen. Aber diese Debatte hat etwas verändert und wird etwas verändern, sage ich mal ganz naiv.

Christian Spiller

Christian Spiller

Christian Spiller, geboren 1982 in Cottbus, studierte in Frankfurt am Main und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Seit 2010 ist er Redakteur bei ZEIT ONLINE, seit 2014 leitet er das Sportressort.