Im Gespräch

Ich bin Linus

Linus Giese im Interview

Linus Giese
© Annette Etges

Wer bist du, und was machst du?

Ich bin Linus Giese, 34 Jahre alt, studierter Germanist und quereinsteigender Buchhändler - für das Schreiben meines Buches habe ich mir eine kurze Auszeit genommen, aber ab November arbeite ich endlich wieder in einem Buchladen, ich fange in der Berliner Buchhandlung «She said» an. Darauf freue ich mich sehr!

Was hat dich dazu bewogen, deine Geschichte aufzuschreiben?

Im März bin ich an einer Berliner Buchhandlung vorbeigegangen, vor der ein Schild mit einem Zitat stand: «Ich schreibe, um jemandem das Leben zu retten, wahrscheinlich mir selbst.» Ich las den Satz und dachte: Ja, das stimmt so vielleicht auch für mich! Ich habe meine Geschichte aufgeschrieben, um mich selbst zu retten ‒ das Schreiben hatte auf jeden Fall eine therapeutische Wirkung, ich habe während der Arbeit am Buch viel über mich selbst gelernt, und ich habe das Bedürfnis, dieses Wissen und diese Erfahrung weiterzugeben. Es klingt ein bisschen kitschig, aber ich glaube, ich habe tatsächlich das Buch geschrieben, das ich mir selbst als Jugendlicher gewünscht hätte.

Am 26. November 2017 hast du auf Twitter ein Foto von einem To-go-Becher mit deinem neuen Namen drauf gepostet. Wie hat sich dein Leben seitdem verändert?

Ich bin glücklicher, zufriedener ‒ mit mir selbst, aber auch mit meinem Leben. Ich habe kein richtig gutes Bild dafür, aber es fühlt sich manchmal so an, als wäre ich aus einem viel zu engen Kostüm gestiegen, ich kann nun viel freier leben und endlich atmen.

Was war dein schönstes Erlebnis als Mann?

Da gibt es so viele: die erste Spritze Testosteron, die ersten Barthaare, mein Stimmbruch ‒ ich glaube, für mich ist jeder Moment wichtig, in dem ich merke, dass ich mich weiter verändere.

Und was war das schlimmste?

Schwer zu sagen: Ich glaube, es gibt gar kein einzelnes Erlebnis, das ich besonders schlimm fand, aber es gibt viele kleine Erlebnisse, die sich schlimm anfühlten. Bei einem Friseurbesuch wurde ich einmal von der «Herrenabteilung» in die «Damenabteilung» geschickt, weil die Mitarbeiter*innen mir nicht glaubten, dass ich ein Mann bin. Momente, in denen mir meine Identität abgesprochen wurde, gehören für mich zu den Momenten, die mir oft am meisten weh tun.

Was ärgert dich am meisten am Umgang anderer mit trans Menschen?

Puh, wo soll ich da anfangen? Mich ärgern oft Menschen, die mit mir im Internet darüber diskutieren wollen, ob etwas wirklich transfeindlich ist, oder mir neugierige und übergriffige Fragen stellen. Ich verstehe Neugier, weil ich selbst auch neugierig bin, aber ich glaube, es ist immer eine ganz gute Idee, sich zu überlegen, welche Fragen ich wirklich anderen Menschen stellen sollte und welche vielleicht eher nicht.

Was würdest du gern deinem alten Ich sagen?

Trau dich, sei mutig, du darfst das!

Und welchen Rat hast du für Eltern, deren Kind sich in seinem/ihrem Körper unwohl fühlt oder bereits für sich entschieden hat, dass er/sie trans ist?

Für die Kinder, die heutzutage aufwachsen, und für alle Generationen, die noch folgen werden, wünsche ich mir, dass ihnen die Freiheit geschenkt wird, sein zu dürfen, wer sie sind. Eltern würde ich also raten, ihre Kinder einfach sein zu lassen: Wenn sich ein Kind ein anderes Pronomen oder einen neuen Namen wünscht, ist das ein Wunsch, der respektiert werden sollte. Von da ausgehend, können Eltern und Kinder dann nur gemeinsam schauen, wie sich dieser Wunsch entwickelt und welche Hilfe und Unterstützung nötig und gewünscht ist. Ich glaube, viele Eltern haben Angst: Leidet mein Kind an einer Störung? Ist es psychisch erkrankt? Wie wird das Umfeld reagieren? Ich kann nur versuchen, Eltern diese Ängste zu nehmen – trans zu sein, sollte heute etwas völlig Normales sein. Ist es aber leider noch nicht. Ich glaube, dass es unsere Aufgabe als Gesellschaft sein muss, trans Kinder, trans Jugendliche und trans Erwachsene irgendwann als einen völlig normalen Bestandteil unserer Lebensrealität zu sehen.

Wer sollte dein Buch unbedingt lesen?

Alle. Alle, die glauben, vielleicht selbst trans zu sein. Alle, die Freund*innen oder Familienangehörige haben, die trans sind. Alle, die mehr über das Thema erfahren wollen.

Ich bin Linus

Ein Satz, der wie eine Selbstverständlichkeit klingt – «Ich bin Linus» –, doch er teilt sein Leben in ein Davor und Danach. Auf beeindruckende Weise erzählt Linus Giese, warum er einunddreißig Jahre alt werden musste, um laut auszusprechen, dass er ein Mann und trans ist und warum sein Leben heute vielleicht nicht einfacher, aber sehr viel glücklicher ist.
«Wer verstehen will, welche verschlungenen Wege es manchmal sein können, auf denen sich die eigene Identität entdecken lässt, wer verstehen will, wie sich eine Person immer wieder neu finden kann, wer verstehen will, was es heißt, trans zu sein, dass das nicht nur im Singular, sondern im Plural existiert, dass es ein ganzes Spektrum gibt, wie sich als trans Person leben, denken und lieben lässt – all denen sei dieses Buch ans Herz gelegt.» (Carolin Emcke)
Eigentlich ahnt er es seit seinem sechsten Lebensjahr. Doch aus Sorge darüber, wie sein Umfeld reagieren könnte und weil ihm Begriffe wie trans, queer, nicht-binär fehlen, verschweigt Linus lange, wer er wirklich ist. Mit dem Satz «Ich bin Linus» beginnt im Sommer 2017 sein neues Leben, das endlich nicht mehr von Scham, sondern Befreiung geprägt ist. Offen erzählt Linus Giese von seiner zweiten Pubertät, euphorischen Gefühlen in der Herrenabteilung, beklemmenden Arztbesuchen, bürokratischen Hürden, Selbstzweifeln, Freundschaft und Solidarität, von der Macht der Sprache und digitaler Gewalt. Seit seinem Coming-Out engagiert sich Linus für die Rechte von trans Menschen. Vor allem im Netz, aber nicht nur dort, begegnet ihm seither immer wieder Hass. Doch Schweigen ist für ihn keine Option.
«Linus Giese erzählt seine Geschichte so offen, mutig und spannend, dass man das Buch kaum aus der Hand legen kann. Ich sage das nicht oft, aber: Hören Sie diesem Mann zu.» (Margarete Stokowski)

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Linus Giese ist studierter Germanist und arbeitet seit November 2017 als Blogger, Journalist und Buchhändler in Berlin. Auf buzzaldrins.de schreibt er über Bücher und auf ichbinslinus.de über seine Transition, zudem hat er mehrere Texte für den Tagesspiegel, die taz und das Onlinemagazin VICE veröffentlicht. Twitter: 10.800 Follower*innen.

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