Im Gespräch

«Prickelnde Flirts sind besser als das größte Schokoladeneis mit Sahne!»

Banner zu Kai Lippens' Buch

Kann man sich im Alter noch einmal verlieben? Oder ist es irgendwann zu spät für einen Neuanfang? Kai Lippens begab sich mit Ende 50 auf die Suche nach einer neuen Partnerin. Er erlebte aufregende Dates, zauberhafte Affären, schmerzende Abfuhren, probierte Onlinedating – nur wirklich binden wollte sich keine. Warum? Der Autor sprach mit anderen Frauen und Männern, denen es ähnlich ging, und hörte von vielen guten und grotesken Gründen, Ausreden, Ängsten. Und verabredete sich trotz allem fröhlich weiter. Ein Buch für alle, die die Hoffnung auf Liebe nicht aufgeben mögen.

«Ich bin sechzig geworden – und suche eine Frau! Viel Glück, alter Mann», heißt es am Anfang Ihres Buches. Im August 2017 war Ihr Artikel «Amore über sechzig» in der taz erschienen. Haben Sie mit derart fulminanten Reaktionen auf den Beitrag – einer Leserbriefschreiberin zufolge «die längste Kontaktanzeige der Welt» – gerechnet?

Nein, hatte ich so nicht. Ich hatte ja keine Ahnung, wie viele offene Türen ich einrenne. Nach ein paar Tagen waren es mehr als hundert Zuschriften, teils sehr lang, mit der halben eigenen Liebesbiographie. Alle sehnen sich nach Berührung, nach Haut, nach Seelennähe, auch nach Sex. Und überall sind Hürden im Weg, dass Männer und Frauen zueinander finden in unserem Alter Ü50: keine Zeit, keine Muße, die Angst vor der nächsten Pleite. Da ist ganz viel Sehnsucht, die durch noch mehr Vorsicht ausgebremst wird: Wer weiß, wen ich mir da einhandele, vielleicht bald ein Pflegefall? Und bei Frauen, das habe ich immer mal wieder erlebt und es hat mich sehr überrascht, eine zunehmende Bangnis vor körperlicher Nähe. Angst, sich auszuziehen, Scham. Als könnte ein Körper Ü50 nicht auch hocherotisch sein und begehrenswert.

Früher galten Menschen mit 60 definitiv als alt. Wer heute seinen 60. Geburtstag feiert, ist allenfalls im «Spätmittelalter des Lebens» angekommen. Wie ging es Ihnen, als Sie realisierten, dass Ihnen mit 60 schon zig Attraktionen der S-Klasse zustehen: Senioren-BahnCard, Seniorenteller, Seniorenrabatt in Museum und Oper …?

Da war Lächeln oder Empörung, je nach aktueller Stimmung. Mit 60 bin ich doch nicht alt. Wir werden mit diesen freundlichen Rabatten in eine Schublade gesteckt, als seien wir schon jenseits allen pulsierenden Lebens. Wir sind nicht mehr jung, aber auch nicht alt – sondern mittenmang.

Fünf Singlejahre nach dem Ende einer langjährigen Beziehung ziehen Sie eine Bilanz, die erstaunt: «Alle Kontakte, aus denen irgendetwas Wichtiges oder auch nur kurzfristig Ernsthaftes entstand, hatte ich mit einer Ausnahme offline gemacht. Im Alltag, per Zufall.» Was ist das Problem mit der digitalbasierten Liebe?

Ob Singleportale oder Tinder: Sie gaukeln ein Bild vor, weil man nur ein paar Fotos sieht, dazu ein paar nette oder gequälte Textlein. Das kann für reichlich Kopfkino sorgen, bevor man jemanden überhaupt das erste Mal gesehen hat. Da helfen auch Nachrichten hin und her oder ein Telefonat nur bedingt weiter. Jedem Anfang wohnt ja angeblich ein Zauber inne – mag sein. Und toll, wenn es wirklich so ist. Aber der Anfang ist nicht das digitale Aufeinanderaufmerksamwerden, sondern die erste Begegnung, wenn man sieht, wie der oder die andere redet, sich bewegt, lächelt. Irgendeine banale Kleinigkeit kann einen entweder abschrecken oder eben triggern und anturnen. Das kann kein Tinder bieten. Deshalb ist da oft eine Enttäuschung, wenn der wirkliche Anfang nicht passt.

Wie hat eigentlich Ihr Freundeskreis auf Ihre ausgiebigen Exkursionen zu den Tummelplätzen der Liebe reagiert? Oder lief das eher klandestin?

Ich bin da bei guten Freunden und Freudinnen ganz offen und erzähle von neuen Pleiten und von Frust oder von neuen Hoffnungen und Begegnungen. Manche wundern sich: Was, schon wieder jemanden kennengelernt, wie machst du das? Ich gucke mich halt um, nicht manisch, aber schon neugierig, immer optimistisch (na ja, fast immer). Eine der ersten Leserinnen des Buches hat gesagt: Meine Güte, was bei dir alles passiert. Na ja, sage ich dann: viel? Wir reden ja auch über einen Zeitraum von fünf Jahren – da ist viel Platz für aufregende Begegnungen, für Abfuhren, Frusterlebnisse und tolle Flirts. Aber die eine wartet halt noch irgendwo auf mich. Und ich auf sie.

Sie haben im Rahmen der Buchrecherche eine Menge tougher, beeindruckender Frauen kennengelernt. Waren Sie überrascht, dass fast alle Frauen, die Sie getroffen haben, bereit waren, ihre Liebesbiographien zu teilen – wenn auch in anonymisierter Form?

Wen ich gefragt habe, hat erzählt. Und wie ein Wasserfall manchmal. Erfreut, überrascht war ich am Anfang. Bald hab ich gemerkt, die waren alle froh, sich mal richtig ihre Erlebnisse von der Seele zu reden, was so läuft, was schiefläuft. Ich habe von herrlich verrückten Geschichten und Begegnungen im Dutzend gehört, schmerzhaft oft im Moment des Erlebens, oft dann zum gemeinsamen Belachen aus der Distanz. Ich habe auch erfahren dürfen, wie seltsam Männer sich oft verhalten, wie verstockt und verquer manche sind. Aber vielleicht bin ich ja auch so – und hab hier oder da schrullig, zu fordernd oder komisch gewirkt. Mit einer Interviewpartnerin, Maike, hatte ich kurz nach dem taz-Text, ihrer spontanen Zuschrift und noch lange vor der Buchidee eine kurze explosive Begegnung. Dann haben wir für das Buch zwei Jahre später gemeinsam analysiert und nachgefühlt, warum es mit uns nicht weiterging. Das war wieder aufwühlend und gleichzeitig sehr wohltuend und klärend. Und schon verrückt, für ein Buch über die gemeinsamen Gefühle füreinander zu reden.

Schwierigkeiten hatte ich mit dem «Tarnkappen»-Kapitel, mit der These: «Wir haben es mit einer paradoxen Situation zu tun. Wir sind Millionen. Und gleichzeitig sind wir Ü50 bis U65 die unbeachtete Generation. Die Unsichtbaren.» Dass das für Frauen gilt: klar. Aber wieso sollen Männer dieser Alterskohorte «gläsern», «medial scheintot» sein?

Wir beachten uns zu wenig und werden kaum beachtet. Frauen klagen immer wieder: Wo sind denn die tollen Männer, die aufregenden Singles? Angeblich gibt es doch so viele. Ich treffe keine ... Identische Sätze kommen von Männern. Alle klagen, die anderen gucken durch mich durch, der Begriff fiel wörtlich mehrfach. Offenbar nehmen wir uns viel zu wenig gegenseitig wahr als potenziellen Partner, als interessantes Gegenüber. Was auch viel schwieriger ist als früher: Heute gibt es kaum noch Partys und ohne Kneipenbesuche keine Kneipenbekanntschaften.
Die Medien verstärken das Tarnkappen-Phänomen: Zeitschriften geben ihre schlauen Tipps zum Thema Liebe in fortschreitendem Alter meist nur bis 45, maximal 50. Oder Kino- oder Fernsehfilme: Da geht es mit Beziehungsdramen und Liebesfilmen aller Art bis Mitte 40, dann ist bis auf wenige Ausnahmen finito. Achten Sie mal drauf! Echt irre, es ist wie abgeschnitten. Erst die Generation Ü70 wird wieder beguckt, oft zwischen gönnerhaft und lächelnd: Ach, guck mal, die vitalen Rentner ... Und, es gab auch noch kein Buch, das sich an uns geschätzt drei bis vier Millionen Singles in Deutschland zwischen 50 und 65 richtet. Ich hoffe, ich kann mit dem Buch Mut machen!

Ob man nun tindert oder bei etablierten Datingportalen wie Parship oder ElitePartner sein Herz in den Ring wirft: Ist der Preis nicht ungeheuer hoch, den man für die paar «Happy Betweens», für das bisschen Sex zahlt? All die enttäuschten Hoffnungen, die ergebnislos investierte Zeit, die «vielen, vielen Volten ins Nichts» …

Klar gehören die Volten ins Nichts dazu, leider, und manchmal schicken sie einen schon in depressive Stimmung. Aber der Preis ist nicht zu hoch. Bei mir jedenfalls nicht, auch Hoffnung kann die Seele nähren. Und kleine prickelnde Flirts sind besser als das größte Schokoladeneis mit Sahne! Leider gibt es genug Frustrierte, die aufgegeben haben, eher Frauen als Männer, glaube ich. Oder sie sind nur noch in der Theorie offen für einen neuen Partner, wenn wirklich der angegraute Supermärchenprinz um die Ecke kommt, der eierlegende Wollmilcheber, am besten gut situiert, liebevoll und rattenscharf im Bett, ein fürsorglicher Seelenschmeichler ohne eigene Altlasten im Gemüt, der gleichzeitig auch noch die beste Freundin ist …

Während sich manche offensiv zum Glück des Alleinseins, der Beziehungslosigkeit bekennen, ist für Friederike «ein Leben ohne Sex wie eine vegane Party ohne Alkohol». Zig Jahre ohne Hautkontakt, das kann einen schon raustreiben in die komplizierte Welt der «Beziehungsanbahnungsversuche». Aber woher die Hoffnung nehmen, «in unserem Alter noch eine unverbrauchte frische Liebe» zu finden?

Zig Jahre? Ein paar Wochen oder Monate zehren doch schon. Die Hoffnung stirbt auch zuletzt nicht. Es gibt Pleiten, Abfuhren, Vergeblichkeit. Das wissen alle, davon erzählen auch alle, Männer wie Frauen. Aber da ist das Wissen, dass man immer wieder auch sehr liebenswerte, tolle Menschen kennenlernt. Manchmal für eine Affäre und vielleicht auch mehr. Ohne Optimismus geht nix. Wer nur jammert, hat schon verloren. Oder will vielleicht gar nicht, ohne sich das einzugestehen. Oder will sogar scheitern, weil es ja das Elend der Welt beweist, alles halt sinnlos. Quatsch!
Anders ist es, wenn man ganz gewollt und überzeugt keine Beziehung sucht. Das kann auch eine sehr bewusste (Rest-)Lebensentscheidung sein, dazu hab ich zwei spannende Bücher gelesen. Und darüber habe ich fürs Buch auch lange mit meiner Freundin Carla gesprochen, die mit buddhistischer Weisheit darauf antwortet, ob sie noch mal einen Mann finden wolle: Was passiert, passiert; was nicht, nicht. Eine Meisterin der Gelassenheit, mit der ich so eine Art Daueraffäre habe: Einmal im halben Jahr treffen wir uns zum ausführlichen Kochen und Erzählen, zum Massieren, Schmusen, manchmal auch vorsichtigem oder albernem Anfassen. Aber nicht mehr, kein Sex im klassischen Sinn. Will sie nicht. Ist okay. Ich lerne: Es gibt so viele verschiedene Arten von Zweisamkeiten.

Das Herz kriegt keine Falten

Ein ehrlicher Blick auf Liebe, Sex und Partnerschaft jenseits der 50: mal traurig, mal witzig – und voller Überraschungen.
Kann man sich im Alter noch einmal verlieben? Oder ist es irgendwann zu spät für einen Neuanfang? Kai Lippens begab sich mit Ende 50 auf die Suche nach einer neuen Partnerin. Er erlebte aufregende Dates, zauberhafte Affären, schmerzende Abfuhren, probierte Online-Dating – nur wirklich binden wollte sich keine. Warum? Der Autor sprach mit anderen Frauen und Männern, denen es ähnlich ging, und hörte von vielen guten und grotesken Gründen, Ausreden, Ängsten. Und er verabredete sich trotz allem fröhlich weiter.
Ein Buch für alle, die die Hoffnung auf Liebe nicht aufgeben mögen.

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Kai Lippens, Jahrgang 1957, arbeitet seit 35 Jahren als Journalist für diverse Tageszeitungen, Magazine und den Hörfunk und ist vielfacher Buchautor. Er lebt in Essen und hat einen Sohn.

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